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KUNST UND KULTUR
DES i8. JAHRHUNDERTS
IN DEUTSCHLAND
KUNST UND KULTUR
DES i8. JAHRHUNDERTS
IN DEUTSCHLAND
VON
HERMANN SCHMITZ
VERLAG F. BRUCKMANN A.-G. * MÜNCHEN
NIAY24 1945
INHALT
Seite
Einleitung
1. Überblick über die Kunst des Jahrhunderts. Die Stilepochen: Barock, Rokoko und Frühklassizismus i
2. Politischer und sozialer Zustand Deutschlands im Zeitalter des Barock g
3. Die Geistesbildung im deutschen Barock 21
4. Die großen Feste 30
5. Die Stellung der Baukunst im 18. Jahrhundert 47
6. Die Baumeister, die Bauherren und der Baubetrieb. Stadtbaukunst . . 54
7. Das geistige Wesen des Katholizismus im deutschen Barock und Rokoko 65
8. Der katholische Kirchenbau des Barock 75
g. Der katholische Kirchenbau des Rokoko g4
10. Der Protestantismus des 18. Jahrhunderts in Deutschland 108
11. Der protestantische Kirchenbau 113
12. Die weltliche Architektur des Barock. Die Schlösser, Abteien, Bürgerhäuser 125
13. Die Schloß- und Hausarchitektur im Rokokozeitalter 151
14. Die Deckenmalerei 167
15. Innenausstattung der Schlösser. Das Ornament des Barock und Rokoko 180
16. Die Möbel des Barock und Rokoko igS
17. Die Bildhauerkunst des Barock 20g
18. Die Bildhauerkunst des Rokoko 231
ig. Die Ölmalerei 242
20. Schmiedekunst und Waffen 260
21. Gold und Silber 267
22. Das Porzellan 274
23. Die Fayence . . 2gi
24. Die geschnittenen Gläser 2g8
25. Die Kunst des Theaters 303
26. Die Gartenkunst 313
27. Der Geist des deutschen Rokoko 325
28. Der Umschwung zum Frühklassizismus in der Baukunst 335
29. Die Wandlung in den übrigen Künsten 347
30. Das geistige Leben und die Dichtung im letzten Drittel des Jahrhunderts 358
Ausgang des Jahrhunderts 366
Anmerkungen und Zusätze 373
EINLEITUNG
Keine Epoche der Kunst- und Geistesgeschichte Deutschlands verlangt so gebieterisch eine gründliche Darstellung, wie das i8. Jahrhundert. Die Geringschätzung, die die nachfolgenden Generationen dem i8. Jahr- hundert entgegenbrachten, hat längst einer lebhaften, stetig wachsenden Zu- neigung Platz gemacht. Doch erst der nach einem geschlossenen Stil stre- benden Gegenwart sind der tiefer liegende Gehalt und der einheitliche Charakter der künstlerischen Äußerungen dieses Jahrhunderts völlig klar ge- worden. Insbesondere hat die moderne Architektur die in der Baukunst des i8. Jahrhunderts liegenden Werte erkannt und aus deren Studium den reich- sten Vorteil gezogen. Für die Erzeugnisse der Malerei, der Bildnerei und aller übrigen Kunstzweige -des 1 8. Jahrhunderts verbreitet sich die Schätzung von Tag zu Tag. Die Museen, die Sammler, die Künstler und Gelehrten wetteifern in der Sammlung und Sichtung des fast unübersehbaren Stoffes.
Dieses Buch unternimmt es nun, weiteren Kreisen der Kunstfreunde ein Bild der Kunst und Geistesbildung Deutschlands im i8. Jahrhundert zu liefern. Der Blick soll in erster Linie auf die eigentümliche Leistung der deutschen Kunst in diesem Zeitalter gelenkt werden. Die besondere Stellung Deutsch- lands im großen Rahmen der europäischen Kunst des i8. Jahrhunderts soll ins Licht treten. Das Beste ist damals in Deutschland ohne Einschränkung auf dem Gebiete der Baukunst und der in ihrem Dienste stehenden dekora- tiven Künste geschaffen worden. In der freien Bildnerei und erst recht in der Ölmalerei ist Deutschland — von vereinzelten Ausnahmen abgesehen — weit hinter den Italienern und Franzosen, und hinsichtlich der Malerei auch hinter den Engländern, zurückgeblieben.
Der Höhepunkt des künstlerischen Lebens des Jahrhunderts liegt in dessen erster Hälfte, in der Epoche des Barock und Rokoko. Die Vorstufe dazu bildet das letzte Drittel des 17. Jahrhunderts. Das Ausleben der Barock- und Rokokoströmung und ihre Umwandlung in den sogenannten Frühklassi- zismus umfaßt die spätere Hälfte des 18. Jahrhunderts, genauer den Zeit- raum vom Ende des Siebenjährigen Krieges ab. Der Schwerpunkt unserer Darstellung liegt in der Herausarbeitung des deutschen Barock und Rokoko. Die Entwicklung des Barock in dem späteren 1 7 . Jahrhundert und das Fort- wirken der in dem Barock und Rokoko lebendigen Kräfte bis an den Aus- gang des 18. Jahrhunderts bilden die notwendige Begleitung zu dem Haupt- thema. So klärt sich die Stellung des 18. Jahrhunderts in der Gesamtge- schichte unseres geistigen Lebens, das Verhältnis zu dem voraufgehenden Zeitalter der Reformation und Renaissance, sowie zu dem nachfolgenden 19. Jahrhundert.
Unser hauptsächlichstes Augenmerk ist darauf gerichtet, den einheit- lichen, das Jahrhundert von Anfang bis zu Ende durchziehenden künst- lerischen Geist zu erfassen. Die äußeren und inneren Verhältnisse Deutsch- lands sind soweit berücksichtigt worden, als dies zum Verständnis der Kunstgeschichte unerläßlich ist. Das Kulturleben unseres Volkes ist hier also nur in seinem Verhältnis zur Kunst behandelt. Allein auch in dieser Hinsicht konnten viele grundlegende Fragen nur flüchtig ge- streift werden, um die Darstellung nicht ins Uferlose zu erweitern. Dahin gehört die Beziehung der deutschen Musik des 18. Jahrhunderts zur Blüte unserer Baukunst, ferner die zwischen der erlahmenden bildnerischen Fähig- keit und der stetig wachsenden dichterischen Schaffenskraft im späteren 18. Jahrhundert, die Wandlung der philosophischen, insbesondere der ästhe- tischen Anschauung von Leibniz über Wolf und Baumgarten zu Kant und endlich zu Schiller.
Das hier entworfene Gemälde des i8. Jahrhunderts gibt dem Leser kein Bild der Kulturzustände dieser Epoche. Eine solche Darstellung gehört in das Gebiet der eigentlichen Kulturgeschichte; sie kann nicht Auf- gabe der Kunstgeschichte sein. Es fehlt leider bisher für das deutsche 1 8. Jahrhundert eine objektive Kritik der gesamten Lebensverhältnisse, wie sie für Frankreich Taine in dem ersten Bande der „Origines de la France moderne" geliefert hat. Auch für Deutschland würde eine solche Erzählung ein Bild reich an Wertvollem und Nützlichem, aber doch nicht ohne tiefe Schatten ergeben. Als die Kehrseite des Glanzes würde aus Memoiren, aus Aktenstücken und Briefen ein Meer von Leidenschaften, von Intrigen, von leerem Schein, von Elend und Jammer sichtbar werden. Die Menschen des Barock und Rokoko waren im Grunde nicht anders wie heute und zu jeder Zeit. Unter der Allongeperücke, unter dem Zopf und im kurzgeschnittenen Haar sind die Gehirne, unter dem schwerbestickten Staatsgewand, unter dem geblümten Seidenfrack und unter dem schlichten Tuchrock die Herzen die gleichen geblieben. Aber der Gegenstand unserer Betrachtung ist eben nicht die Wirklichkeit in diesem Jahrhundert Leibnizens, Friedrichs des Großen, Kants und Goethes, sondern die daraus hervorwachsende Schöp- fung des künstlerischen Genius. In den bleibenden Werken der Kunst ver- körpert sich nicht das alltägliche Dasein, sondern ein höheres Leben geistiger Ideen, das den rauhen Tag, der es geboren, überdauert.
I.ÜBERBLICK ÜBER DIE KUNST DES JAHRHUNDERTS DIE STILEPOCHEN: BAROCK, ROKOKO U. FRÜHKLASSIZISMUS
Als Glied im Kreise der europäischen Kunst des 1 8. Jahrhunderts hat Deutschland an den großen Wandlungen des europäischen Geschmacks in diesem Zeitraum Anteil. Diese Veränderungen nehmen aber den besonderen Verhältnissen unseres Vaterlandes gemäß einen von der Gesamtentwicklung in bestimmter Weise abweichenden Verlauf. Das Jahrhundert, das uns hier beschäftigt, fällt in die Epoche, wo der Barockstil in Europa seinen Höhepunkt erreicht hat und mit dem Rokoko in sein letztes Stadium tritt. Man kann das Wesen und die Geschichte der deutschen Kunst dieses Zeit- raums nicht verstehen, ohne ihre Stellung in dem großen Bilde der europä- ischen Kunst des 17. und 18. Jahrhunderts zu kennen.
Nur wenige Jahrzehnte bedurfte Deutschland, um sich aus den Trümmern des Dreißigjährigen Krieges neuverjüngt zu erheben. In dem letzten Drittel des 17. Jahrhunderts lebte die künstlerische und geistige Kraft wieder auf und mit der Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert entfaltete der deutsche Genius aufs herrlichste seine Schwingen.
Schmitz, 18. Jahrh. i I
Nun beruhen aber die Grundlagen, auf denen die neue Kunst Deutsch- lands sich aufbaut, nur zum geringsten Teile in den bodenständigen Über- lieferungen des Landes. Die heimische Spätrenaissance hat zwar besonders in den Kunsthandwerken der süddeutschen Reichsstädte durch den Dreißig- jährigen Krieg hindurch fortgelebt. Eine Fülle von künstlerischer und hand- werklicher Geschicklichkeit hat sich in diesen Kreisen von den Vätern auf die Söhne vererbt. Nürnberg und Augsburg haben in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts den Ruhm, den sie in der Renaissanceepoche erworben, behauptet. Allein der Aufschwung des deutschen Kunstlebens im letzten Drittel des 17. Jahrhunderts ist in der Hauptsache durch die Anknüpfung an den Barockstil Italiens, der Niederlande und Frank- reichs erfolgt. Während die deutschen Gaue von der Kriegsfurie ver- wüstet und die deutschen Gemüter durch die politischen und religiösen Kämpfe zermürbt wurden, hatte sich in Italien und damit im Zusammen- hang in den Niederlanden und in Frankreich der künstlerische Geist unge- hindert entfalten können. In Rom, in Antwerpen, in Amsterdam und in Paris hat sich in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts die europäische Kunst von der Spätrenaissance befreit und den Barockstil geschaffen. Das wichtigste Kennzeichen dieses Stils ist die zusammenfassende große Form, ob es sich um die Architektur, um die Bildnerei oder um die Malerei handelt. Der Barock erwächst auf den von der Renaissance unter Benutzung antiker Formen und Ideen geschaffenen Grundlagen. Eigentümlich ist der neuen Anschauung das Streben nach stärkerem räumlichen plastischen und male- rischen Ausdruck, verbunden mit tieferer Beseelung. Eine Fülle neuer Be- handlungsweisen und technischer Mittel, sowohl in der großen Kunst wie in dem Kunsthandwerk — man denke z. B. an die Keramik — , kommt damit empor. Eine Reihe äußerer Umstände haben die Aufnahme des Barock in Deutschland nach dem Dreißigjährigen Kriege befördert. Die durch die Re- formen der Päpste und die Wirksamkeit der Orden neu gestärkte katho- lische Kirche war in erster Linie die Vermittlerin der barocken italienischen Kirchenkunst nach dem Süden Deutschlands. Der protestantische Kirchen- bau im Norden Deutschlands entwickelte sich in Fühlung mit dem der Nie- derländer und der französischen Hugenotten.
Die Hauptträger der weltlichen Kunstpflege waren jetzt die Fürsten, deren Macht aus dem Westfälischen Frieden so stark wie nie zuvor hervorgegan- gen war, und der ebenfalls wieder gekräftigte Adel. Und diese Kreise wur- den ganz von selbst darauf gewiesen, dem modernen Kunst- und Lebensstil der italienischen Höfe und alsbald dem des alle überstrahlenden Hofes Ludwigs XIV. nachzueifern. Die Umgangsformen, die Bildung und Etikette
Abb. I. Kaiser Leopold I., von Steinle, Elfenbein. Wien, Staatsmuseum
Abb. 2. Kaiser Karl VI., von Solimena (Ausschnitt) Wien, Staatsgalerie
der Mehrzahl der deutschen Fürsten und der höfischen Gesellschaft kleide- ten sich in italienische und französische Formen. Dieser Wandlung hat zweifellos die nach dynastischen Gesichtspunkten betriebene Politik der Fürsten Vorschub geleistet. Waren doch mehrere von ihnen, wie Kaiser Leopold I., Kurfürst Ferdinand Maria von Bayern, Jan Wilhelm von der Pfalz mit spanischen und italienischen Prinzessinnen verheiratet. Im Norden knüpfte die Verbindung der Häuser Brandenburg und Anhalt mit dem der Oranier die Verbindung mit Holland.
Die Kunst in Deutschland ist also zunächst ein Teil der europäischen Barockkunst, die in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts ein interna- tionaler Besitz der Kirche, der Fürsten und des Adels geworden war. Wie die Kunst der Renaissance, so hüllt sich auch die des reifen Barock in die Formen der Antike. Überwiegend sucht sie in den darstellenden Künsten eine Schönheitsidee und nicht die unmittelbar angeschaute Natur zu gestal- ten. Auch darin ist sie eine Fortsetzung der Grundströmungen der Renais- sance.
Es ist nun daran zu erinnern, daß schon in der Zeit vor dem Dreißig- jährigen Kriege die Kunst in Deutschland eine Reihe von Ansätzen zu dem klassischen und idealisierenden Geschmack der italienischen Spätrenaissance aufzuweisen hat. Man denke an die in Italien gebildeten Niederländer und Deutschen am Hofe Rudolfs II. in Prag, an Baumeister, wie an Schick- hart in Stuttgart, an Holl, den Erbauer des Augsburger Rathauses, und an Sustris, den Schöpfer der Münchner Jesuitenkirche St. Michael, an Bild- hauer wie Pieter Candid in Augsburg und München und endlich an den ersten römischen Maler deutscher Nation Elzheimer aus Frankfurt. Neben [München, Prag und Wien ist Salzburg unter den Erzbischöfen Wolf Dietrich und Marcus Sittich ein Vorort der italienisierenden Richtung im ersten Drittel des 17. Jahrhunderts. Noch während der ersten, für den Kaiser und die katholische Liga glücklichen Hälfte des Dreißigjährigen Krieges geht diese Entwicklung weiter, wofür die unter Kurfürst Maximilian von Bayern entstandenen Teile der Residenz in München, eine Reihe von Kirchengrün- dungen dieses Fürsten und des Herzogs Wolfgang Wilhelm von Pfalz-Neu- burg, wie auch Wallensteins Palast- und Gartenschöpfungen in Böhmen zeugen. Die Schriften des trefflichen Ulmer Stadtbaumeisters Furttenbach, der auch in Italien gereist war, zeigen das Umsichgreifen wenigstens der Theorien in der späteren Epoche des Krieges. Die nach dem Kriege einset- zende Kunsttätigkeit bildet mithin eine Fortführung der in der Spätrenais- sance eingeleiteten Bewegung.
Der im letzten Drittel des 17. Jahrhunderts beginnende Barock in Deutsch-
land ist aber keine aus der künstlerischen Kraft des Landes von innen heraus kommende Erscheinung, wie der italienische, niederländische und franzö- sische. Das wird durch die große Zahl jetzt einwandernder oder von den Fürsten berufener italienischer, niederländischer und französischer Künstler dargetan. S i e sind die Träger der neuen Ideen, aber nicht die Bauhand- werker und die Zimmerleute der deutschen Reichsstädte, die Tischler, Silber- schmiede, Glas- und Fayencemaler, die Elfenbeindrechsler, die Waffen- schmiede, Eisenschneider und Schlosser von Nürnberg und Augsburg, die freilich beim Wiederaufbau mitwirken. Die Frühzeit des deutschen Barock umfaßt die Jahrzehnte von rund 1660 bis 1690, also die Epoche Kaiser Leopolds L, des Kurfürsten Ferdinand Maria von Bayern und des Großen Kurfürsten Friedrich Wilhelm von Brandenburg.
Die Reife des deutschen Barock beginnt im letzten Jahrzehnt des 17. Jahrhunderts und dauert bis in die Mitte der dreißiger Jahre des 18. Jahrhunderts. Die markantesten Fürsten dieser Epoche sind Kaiser Joseph I., sowie namentlich sein Bruder und Nachfolger Karl VI. (171 1 bis 1740), ihr großer Feldherr und Staatsmann, Prinz Eugen von Savoyen, nicht zu vergessen; dann Max Emanuel von Bayern, Friedrich I. von Preußen und August der Starke von Sachsen und Polen. Mehrere geniale Meister haben die Gedanken des Barock im deutschen Sinne fort- und umgebildet: Schlüter, Bernhard Fischer von Erlach, Lukas von Hildebrandt, Pöppelmann und Balthasar Neumann, der letztere bereits in die Folgezeit hinüberführend. Die italienische Strömung kreuzt sich in den Schöpfungen dieses Zeitraums mit der mehr und mehr eindringenden französischen, dem Stil Louisqua- torze. Die in Frankreich auf das Louisquatorze folgende „R e g e n c e" ist in Deutschland nur in der Ornamentik des späteren Barock zu beobachten.
Seit der Mitte der dreißiger Jahre geht der Barock in den Rokokostil über. Der Rokokostil bringt den der deutschen Kunst eigentümlichen Raum- sinn zur höchsten Entfaltung. Das Barockornament lockert sich unter An- regung von Seiten des französischen Louisquinze zum Rocailleornament. Der Kurfürst Karl Albert von Bayern, der kurze Zeit und ohne Glück als Karl VII. den Kaiserthron innehatte, und sein Bruder, der Kölner Kurfürst Clemens August, Friedrich der Große und Maria Theresia sind die wichtig- sten fürstlichen Vertreter des Rokokozeitalters in Deutschland. Als über- ragende Künstler sind der schon genannte Balthasar Neumann in Würz- burg, Francois Cuvillies und der Kirchenbaumeister Johann Michael Fischer in München, sowie der Freiherr von Knobelsdorff in Berlin aus der Fülle trefflicher Meister hervorzuheben. Das Rokoko erreichte um die Mitte des Jahrhunderts den Höhepunkt. Seine Nachblüte endete aber erst gegen 1770.
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Abb. 3. Max Emanuel von Bayern, von Vivien. München, Pinakothek
Mit diesem Zeitpvmkt beginnt eine abermalige Wandlung. Wir kommen zur dritten Generation des Jahrhunderts, zur Epoche des Frühklassi- zismus. Der Name ist nicht glücklich, allein besser als der des ..Louis- seize", der nur für die gleichzeitige Ent^vicklung Frankreichs berechnet ist, oder gar der des ..Zopf". Die Kaiser Joseph II. und Leopold II.. Kurfürst Carl Theodor von der Pfalz, Friedrich Wilhelm II. von Preußen und Karl August von Weimar sind unter den Regenten dieses Abschnitts die bekann- testen. In dem letzten Drittel des Jahrhunderts verschmelzen sich die in dem Barock und Rokoko ■«•irkenden Kräfte langsam mit neuaufkommenden künstlerischen Grundsätzen. EndHch aber verfallen sie unter dem Druck ge^valtiger äußerer und innerer Umwälzungen der Auflösung. Um die Wende zum neuen Jahrhundert sinken zugleich mit dem alten deutschen Reiche die aristokratischen Mächte dahin, deren durch den Dreißigjährigen Krieg be- gründete Vorherrschaft die Entfaltung der Kunst und Kultur des Barock und Rokoko bedingt hatte.
Die Gliederung Ln die Hauptstilabschnitte ist natürlich nur ein Schema nach äußerlichen Kennzeichen, das uns den Verlauf der fortgehenden Ent- vricklung klären hilft. Dieser Verlauf selbst geht ohne Unterbrechung seinen Weg. Er spiegelt den Gang der sinnlichen und seelischen Empfindung un- seres Volkes in der Epoche seit dem Dreißigjährigen Kriege bis zum Ende der alten Reichsherrlichkeit.
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2. POLITISCHER UND SOZIALER ZUSTAND DEUTSCHLANDS IM ZEITALTER DES BAROCK
Um die Entwicklung und den besonderen Charakter des deutschen Barock zu verstehen, ist es unerläßlich, sich die politischen und gesellschaft- lichen Verhältnisse im damaligen Deutschland zu vergegenwärtigen.
Die Grundlagen der deutschen Verfassung sind durch den Dreißigjährigen Krieg nicht wesentlich geändert worden. Der Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation wurde nach wie vor von den Kurfürsten gewählt auf Grund der Goldenen Bulle Karls IV. aus dem 14. Jahrhundert, deren wichtigstes Original in dem Frankfurter Römer aufbewahrt wurde. Die Ab- hängigkeit des erwählten Reichsoberhauptes von den Kurfürsten und Stän- den war indessen durch den Krieg nur noch größer geworden. Die Macht des Kaisers im Reiche war beschränkter als je vorher. Der Westfälische Friede hatte Deutschland geradezu in eine Reihe souveräner Staatsgebilde gelockert. Die Fürsten des Reiches hatten ihre eigenen Steuerrechte, ihre eigene Münze, eigene Rechtsprechung und Armee. Der Friede von Münster und Osna- brück hatte den Fürsten sogar das Recht zugestanden, auf eigene Faust Bündnisse zu schließen. So wurde der unerhörte Zustand, den der Dreißig- jährige Krieg geschaffen, verewigt, daß deutsche Reichsfürsten mit auswär- tigen Mächten verbündet gegen Kaiser und Reich zu Felde zogen. Nur mit äußerster Schwierigkeit vermochte der Kaiser in den Zeiten gemeinsamer Gefahr ein Heer aus dem Reiche zusammenbringen. Jedes Hilfskorps, jede Geldbewilligung der Fürsten und Stände mußte der Kaiser mit der Gewäh- rung neuer Privilegien erkaufen. Die ganze Politik scheint ein Tauschge- schäft von Regimentern und Geldsummen gegen Titelerhöhungen, Steuer- rechte, Monopole und Landerwerbungen zu sein. Aber auch die Reichsfür- sten ihrerseits hatten mit den Unabhängigkeitsbestrebungen ihres landsäßigen Adels zu käm.pfen. Was konnten bei solchen verwickelten Verhältnissen die Zentralbehörden, der in Regensburg in Permanenz tagende Reichstag, das Reichskammergericht, das erst in Speier, dann in Wetzlar saß, der Reichs- hofrat in Wien ausrichten? So geht denn Straßburg und das Elsaß an Lud- wig XIV. verloren, so wird die Pfalz verwüstet und den Franzosen eine stra- tegische Stellung am Oberrhein überlassen.
Der Kaiser freilich ging den übrigen Fürsten voran in der Verfolgung einseitiger Hausinteressen. Das Haus Habsburg hatte seine Herrschaft durch den Krieg in den österreichischen Stammlanden und in Böhmen unter tätiger Mithilfe der Kirche neubefestigt. Unter der unglaublich langen Regierung Leopolds I. (Abb. i), unter Joseph I. und Karl VI. (Abb. 2) breitete sich die Macht Habsburgs infolge der glänzenden Siege des Prinzen Ludwig von Baden. Karls von Lothringen und des Prinzen Eugen donauab- wärts über Ungarn aus. Die Verschwägerung des Hauses mit den italieni- schen Dynastien eröffnete die politischen Beziehungen zu Italien. Sogar die spanische Krone schien wie zu Karls V. Zeiten dem Kaiserhause zuzufallen, als durch den Einspruch der Bourbonenmonarchie der große Spanische Erb- folgekrieg ausbrach. Siegreich fechten Habsburgs und des Reiches Waffen im Süden Deutschlands, in den belgischen Niederlanden und in Italien — . Prinz Eugen gewinnt die Schlachten von Höchstädt, bei Turin, bei Malpla- quet und Audenarde, in denen zuerst Brandenburgs Fahnen den Franzosen entgegentreten. Der Frieden von Utrecht 17 13 und der von Rastatt und Ba- den 17 14, die den Krieg beendigen, sichern dem Kaiser die belgischen Nieder- lande und einen Teil der italienischen Besitzungen. Es beginnt jetzt unter Karls VI. Regierung eine außerordentliche Blüte des wirtschaftlichen und des künstlerischen Lebens in Österreich. Wien wird für die nächsten dreißig Jahre der Mittelpunkt für die Baukunst, die Bildnerei, die Malerei, für Musik und Oper im deutschen Reiche. Im Anschluß an die kaiserlichen Erblande entwickeln sich nach dem Dreißigjährigen Kriege die übrigen katholischen Gebiete im Reiche, deren Schwerpunkt im Süden Deutschlands lag. Die Scheidung zwischen dem katholischen und dem protestantischen Deutschland blieb, wie man sich erinnern muß, nach dem großen Religionskriege bestehen. Mißtrauisch standen sich die katholischen und protestantischen Reichsstände gegenüber. In den katholischen, namentlich in den geistlichen Fürstentü- mern, arbeitete die Gegenreformation ruhig weiter, wenn auch mehr mit den Mitteln des sanften Drucks und der Überredung als mit roher Gewalt. Die protestantischen Landschaften gaben an Unduldsamkeit oft wenig nach. Die Restaurierung des Landesglaubens in den Zeiten nach dem Dreißigjährigen Kriege kam der Stärkung der absoluten Fürstenmacht zustatten, was natür- lich doppelt für die geistlichen Gebiete gilt. Der mächtigste katholische Reichsfürst war der Kurfürst von Bayern, der nicht nur die Kurwürde son- dern auch die Oberpfalz aus dem Dreißigjährigen Kriege davontrug. Eine glänzende Persönlichkeit war der Kurfürst Max Emanuel (Abb. 3), der Schöpfer von Schleißheim und Nymphenburg. In jugendlichen Jahren hatte er an der Seite Österreichs vor Belgrad hohen Kriegsruhm errungen. Die
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Abb. 4. Joh. Wilhelm von der Pfalz, Bronze von Grupello (1711). Düsseldorf
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Abb. 5. Karl Philipp von der Pfalz, von Goudreaux. München, Pinakothek
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Teilnahme am Spanischen Erbfolgekriege im Bunde mit Ludwig XIV. brachte ihm die schweren Niederlagen von Höchstädt und am Schellenberg und langjährige Verbannung aus seinem Lande. Neben dem bayerischen er- hob sich unter den katholischen Fürstenhäusern als das glänzendste das kur- pfälzische. Es ging hervor aus der Linie Pfalz-Neuburg, dem Wolfgang Wil- helm, einer der eifrigsten Restauratoren des Katholizimus vor dem Dreißig- jährigen Kriege, angehörte. Im Rahmen des deutschen Barock um 1700 haben aus diesem Hause Jan Wilhelm (Abb. 4), der Verschönerer Düsseldorfs — der Hauptstadt der kurpfälzischen Herzogtümer Berg und Jülich — , sowie sein Bruder Karl Philipp (Abb. 5), der Erbauer des Mannheimer Schlosses, Bedeutung. Am Oberrhein ist noch die Markgrafschaft Baden anzureihen. Markgraf Ludwig Wilhelm, der berühmte Türkensieger, gründete die Resi- denz Rastatt, und seine Gattin Susanna ist die Schöpferin des köstlichen Lust- schlößchens Favorite. Die große Zahl kleinerer katholischer Reichsfürsten, Grafen und Herren, die namentlich in Schwaben und am Main saßen, können wir übergehen. Dagegen verlangen die geistlichen Fürsten eine kurze Be- trachtung. In alter Kraft blühen die drei ehrwürdigen Kurstifter Mainz, Trier und Köln, und neuverjüngt haben sich aus dem Dreißigjährigen Kriege die Bistümer Bamberg und Würzburg am Main, Eichstätt, Pas- sau, Salzburg, Freising und Augsburg im Süden und endlich im Nordwesten Münster und die westfälischen Hochstifte erhoben. Überall hatten willens- starke Männer den Krummstab ergriffen und mit dem alten Glauben zugleich eine verbesserte Staatswirtschaft hergestellt. Aus der Reihe dieser bedeuten- den Kirchenfürsten des späteren 17. und des beginnenden 18. Jahrhunderts seien hier hervorgehoben : der Erzbischof Thun in Salzburg, Carl Caspar von der Leyen in Trier, Kurfürst Lothar Franz von Schönborn in Mainz und Bamberg, der Gründer der untergegangenen vielgerühmten Favorite in Mainz, der Schlösser von Bamberg und Pommersfelden; der Fürstbischof Damian Hugo von Schönborn in Speier, der Schöpfer Bruchsals; der Reichs- vizekanzler Josephs I. und Karls VI., der staatskluge Friedrich Karl von Schönborn, Fürstbischof von Bamberg und Würzburg, der eigentliche Er- bauer der Residenz in Würzburg; in Münster Bernhard von Galen und Fried- rich Wilhelm von Plettenberg, der Schöpfer des Schlosses Nordkirchen, und in Paderborn Ferdinand von Fürstenberg. Die Domkapitel, die das Land ver- walteten und den Fürsten wählten, wurden aus dem eingesessenen Adel ge- bildet. Mit Vorliebe wählten sie wieder den Bischof aus dem Landesadel. Auch die Söhne der souveränen Häuser gelangten mehrfach auf die Bischof- sitze. So hatte das Haus Bayern wiederholt den Kölner Erzstuhl inne, und ein Sohn des Max Emanuel, Clemens August, vereinigte mit dem Kölner
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Erzstift die westfälischen Bistümer nebst der Deutschmeisterwürde, deren Sitz in Mergentheim war. Die Besetzung dieser hohen geistlichen Fürsten- tümer spielte eine bedeutende Rolle in der Politik der um die Vorherrschaft in Deutschland ringenden Mächte Habsburg, Bayern und Preußen. Schließ- lich sind noch die großen Reichsabteien zu nennen, an denen wiederum Süd- deutschland, vor allem Schwaben und Franken, reich war. Da in ihnen nicht nur die Stiftsherren, sondern selbst die Äbte aus dem landständigen Bürger- und Bauernstand hervorgingen, so waren sie ein besonders günstiges Feld für das Wachstum eines volkstümlichen Kulturlebens.
Unter den protestantischen Staaten steht an der Spitze Brandenburg- Preußen. Der Große Kurfürst hatte den Staat durch die Einverleibung der Bistümer Magdeburg, Halberstadt und Minden vergrößert und völlig neu aufgebaut. Sein Sohn Friedrich I. fügte den Glanz der Königskrone hinzu. Das stehende Heer, vom Großen Kurfürsten seit 1660 nach schwedischem Muster gegründet, wurde durch Friedrich Wilhelm I. zu einer bis dahin unerreichten Schlagfertigkeit gebracht. Einheitliche Uniformierung, Gleich- schritt und Salvenfeuer wurden hier unter Mitwirkung des Fürsten Leopold von Anhalt ausgebildet. Der karge und vielfach sumpfige Boden wurde unter der Regierung der drei Herrscher durch Entwässerungswerke und sorgfäl- tigen Landbau verbessert. Hunderttausende fleißiger Kolonisten, darunter viele um ihres Glaubens aus Frankreich vertriebene Protestanten, fanden Aufnahme und brachten landwirtschaftliche, gärtnerische und handwerkliche Fertigkeiten in ihre neue Heimat. Auch die vertriebenen böhmischen und mährischen Brüder fanden Aufnahme. Den von dem Erzbischof Firmian aus- gewiesenen Salzburger Protestanten wies Friedrich Wilhelm I. Distrikte in Ostpreußen an und erbaute ihnen die Stadt Gumbinnen. Auch Cleve und Mark, die preußischen Enklaven am Niederrhein, wurden der Segnungen der musterhaften Verwaltung der preußischen Könige teilhaftig. In einer viel glücklicheren Lage als das dünn bevölkerte brandenburgisch-preußische Land befand sich von Hause aus das südlich angrenzende, durch den Handel und Verkehr volkreicher Städte, durch Bergbau und Industrie seit langem ausge- zeichnete Kurfürstentum Sachsen, dessen Kurfürsten durch geschickte Po- litik die Furie des Dreißigjährigen Krieges den Grenzen ferngehalten hatten. Am sächsischen Hofe entwickelte sich mit am frühesten die glänzende Kultur des Barock. Ihren Höhepunkt erreichte sie mit August dem Starken, der seit 1698 auch König von Polen war (Abb. 6). Allerdings war der Kurfürst zwecks Erlangung dieser Würde zum Katholizismus übergetreten. Das Haus Hannover, das die neunte Kurwürde innehatte, gelangte 17 14 auf den eng- lischen Königsthron. Damit kamen die hoffnungsvollen Ansätze einer boden-
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Abb. 6. August der Starke von Sachsen, von Silvestre. Dresden, Gemäldegalerie
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ständigen höfischen Kultur nicht zur Entfaltung. Politisch war Hannover mit England durch Personalunion verbunden. Das Haus Hannover hat zwei der be- deutendsten Frauen auf deutschen Fürstenthronen hervorgebracht, Sophie Char- lotte, die Gründerin Charlottenburgs, die Großmutter, und Sophie Dorothea, die Mutter Friedrichs des Großen. Bedeutungsvoll für die künstlerische Kul- tur des Barock waren ferner die Herzöge von Braunschweig, Landgraf Karl von Hessen, der Gründer der Neustadt Cassel und der Kaskade von Wil- helmshöhe, die Fürsten von Anhalt und Waldeck, der Markgraf von Baden- Durlach, Begründer der Residenz Karlsruhe, ferner Herzog Eberhard Ludwig von Württemberg, der Schöpfer Ludwigsburgs, der Landgraf von Hessen-Darmstadt, die Markgrafen von Ansbach und von Bayreuth und von den thüringischen Fürsten u. a. die Herzöge von Gotha und Weimar.
Mit der Steigerung der absoluten Fürstenmacht war allerdings der Rück- gang der Städte verbunden. In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts sind die städtischen Rechte vielerorts gebrochen worden, z. B. durch den Großen Kurfürsten in Ostpreußen, durch den Herzog von Wolfenbüttel in Braun- schweig, durch Bischof Bernhard von Galen in Münster. Würzburg und Mainz gingen ihrer reichsstädtischen Rechte verlustig. Viele Städte verarm- ten durch die Verschiebungen der Handelswege. Köln und Lübeck waren nur ein Schatten der Größe zur Zeit der Hansa. Von den süddeutschen Reichsstädten bewahrten Nürnberg und Augsburg einen Schimmer ihres frü- heren Glanzes. Dagegen erlangten neben den Residenzen die Handelsstädte Frankfurt, Leipzig und Hamburg eine wachsende Bedeutung.
Die Fürsten verstanden es, durch Besitznahme vieler öffentlicher und pri- vater Rechte, wie des Salzhandels, der Forsten und der Jagd, der Zölle und der Manufaktur-Monopole, ihre Einnahmen beträchtlich zu erhöhen. Da- durch wurde die beispiellose Bautätigkeit der Fürsten ermöglicht, die das hervorstechendste Merkmal der Barockepoche ist. In dem Bauwesen sahen sie zugleich die wichtigste Förderung des Geldumlaufs im Lande. Die ganze Handels- und Gewerbepolitik beruhte wesentlich auf dem zuerst von Colbert in Frankreich durchgeführten Merkantilsystem, d. h. möglichste Zollabsper- rung der Grenzen und Deckung des Bedarfs durch die inländische Industrie.
Es wurde schon darauf hingewiesen, welche bevorzugte Stellung damals der Adel einnahm. Mit der Fürstenmacht hatte sich die Lage des Adels, die seit dem Ende des Mittelalters gesunken war, wieder gehoben. Die Fürsten verknüpften ihre Interessen mit denen des Adels. Ihm standen allein die Mi- nister- und höheren Beamtenstellen, sowie die Offizierslaufbahn offen. Der Gütererwerb war nahezu auf den Adel beschränkt. So erklärt sich die große Zahl der Adelspaläste in Wien, in Prag, in München, in Dresden, in Münster,
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Abb. 7. Karl Albert von Bayern, Schule des Desmarees. Berlin, ehem. K gl. Schloß
Schmitz, i8. Jahrh. 2 17
in Berlin und in anderen Residenzen. So auch die Erscheinung, daß es nur immer wenige Namen sind, die neben dem Fürsten als Kunstmäzene stetig wiederkehren; und zwar sind es meistens die Namen der Staatsminister und Günstlinge. In Wien z. B. die Liechtenstein, die Starhemberg, die Schön- born, die Trautson, in Dresden Graf Flemming, Feldmarschall Wackerbarth, Graf Brühl, in Berlin Minister Kreuz, Danckelmann, Kamecke. Am ungünstig- sten war in diesem Jahrhundert die Lage der Bauern. Sie blieben in den mei- sten Territorien leibeigen, zum Boden gehöriges Inventar. Neben den Fron- diensten waren für sie besonders die fürstlichen Jagdgesetze drückend, wo- durch sie oft um den Ertrag ihrer Arbeit gebracht wurden. Nichts ist merk- würdiger als das Fortbestehen der feudalen Zustände in diesem Jahrhundert der Aufklärung.
Somit ist die monarchische und aristokratische Tendenz des Barockzeit- alters gekennzeichnet. Nur sie, nur der Wille einzelner konnte Deutschland aus den verworrenen Zuständen des 17. Jahrhunderts herausführen. Nur der Absolutismus und die Aristokratie vermochten die Grundlagen zu schaffen, auf denen das Zeitalter des Barock erwuchs. Und das gleiche gilt auch von der Kunst. Im Gegensatz allerdings zu Frankreich hat die in viele Wege ge- spaltene Entwicklung Deutschlands nicht entfernt den großartigen Zug an- genommen, den die Erscheinung Ludwigs XIV. und seiner Zeitgenossen zur Schau trägt. Aber dafür ist Deutschland auch vor der einseitigen Überspan- nung der absolutistischen und aristokratischen Vorherrschaft, vor dem tiefen Elend der unteren Schichten und schließlich vor den Greueln der Revolution verschont geblieben.
Aus dem weiteren Gang der Dinge in Deutschland sei noch kurz erinnert an den Krieg Preußens, Dänemarks, Sachsens und Rußlands gegen Karl XII. von Schweden, der August den Starken im Besitze Polens bestätigte und Preußen um Hinterpommern mit Stettin vergrößerte. Kaiser Karl VI. konnte als den wichtigsten Erfolg langwieriger Verhandlungen die Pragmatische Sanktion verzeichnen, durch die die Thronfolge seiner Tochter Maria The- resia gesichert wurde. Er vermählte sie dem Prinzen Franz von Lothringen, der dann Großherzog von Toskana wurde. Zwei seiner Schwestern vermählte er den Kurprinzen von Sachsen und Bayern. Der Polnische Erbfolgekrieg zwi- schen dem Kaiser und Frankreich, 1734 — 1735, endete mit der Anerkennung Augusts III. von Sachsen als Königs von Polen, dagegen mit dem Verlust des Herzogtums Lothringen — dessen Hauptstadt Nancy der äußerst kunstsin- nige Stanislaus Leszcinsky von Polen als Residenz erhielt. Denkwürdig ist dieser Feldzug, da hier der größte Staatsmann und Feldherr der Barock- epoche, der greise Prinz Eugen, Seite an Seite ritt mit dem größten Staats-
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und Kriegsgenie des Rokokozeitalters, dem dreiundzwanzigjährigen Kron- prinzen Friedrich. In diesen Jahren, wo Friedrich sein Rheinsberg, und seine Schwester Wilhelmine, die Markgräfin von Bayreuth, die Eremitage be- gannen, wandelt sich der Barock bereits zum Rokoko. Mit dem Jahre 1740, dem Todesjahre Kaiser Karls VI. und Friedrich Wilhelms I., mit der Thron- besteigung der Maria Theresia und Friedrichs II., beginnt die Blütezeit des deutschen Rokoko. -
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Abb. 8. August der Starke, Kupfer, getrieben von Wiedemann. Dresden
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3. DIE GEISTESBILDUNG IM DEUTSCHEN BAROCK
Wie die Grundlagen der deutschen Barockkunst, so beruhen die der höfi- schen und aristokratischen Bildung dieser Zeit auf der Kultur der höfi- schen Kreise Italiens und Frankreichs. Um 1700 wurde das Französische die offi- zielle Umgangssprache der deutschen Höfe. In Wien und München herrschte daneben das Italienische. Die lateinische Sprache diente zu Staatsschriften diplomatischen und genealogischen Charakters, zu Inschriften der Festtro- phäen, der fürstlichen Grabmäler, die von eigenen Hofhistoriographen abge- faßt wurden. Das Verhältnis der Fürsten zur antiken Literatur, Geschichte und Mythologie ging nur so weit, als sie darin ein Mittel zu ihrer eigenen und zur Verherrlichung ihres Hauses sahen. Sie alle lassen sich als antike Heroen darstellen: Leopold I. (Abb. i) und sein Nachfolger, der Große Kurfürst und Friedrich L, August der Starke (Abb. 8) und Max Emanuel. So erscheinen sie nicht nur in den Götterfestzügen, sondern auf Gemälden, auf Denkmälern und in Statuetten. Der rauschende Stil dieser römischen Barockhelden auf den trabenden oder dem en Courbette aufbäumenden rams- nasigen Pferde offenbart das Ideal, das sich der Barock von ,,der Römer Zei- ten" und ,,der Antiquen ihrem Gout" zurechtgemacht hat. Aus dem gleichen Pathos sind die allegorischen Darstellungen der antiken Götterwelt geboren, die jetzt die Decken der Schlösser verherrlichen — die von den Malern der Berliner Akademie gemalten Decken der Paradekammern König Friedrichs I. im Berliner Schloß sind das beste Beispiel — , aus demselben Pathos die Göt- ter und Helden der italienischen Oper, die in Wien von Metastasio gedichtet wurden. Und die bald tragischen, bald lyrischen Gestalten der griechischen und römischen Geschichte, der französischen Tragödien und Romane sowie in den heißbegehrten flandrischen und französischen gewirkten Bildteppichen gesellen sich hinzu. Man suchte nur sich selbst in der Antike. Weitaus am höchsten standen in der allgemeinen Schätzung die schweren und dramatisch bewegten spätrömischen Gruppen, der Laokoon, der Farnesische Herkules, der Apoll von Belvedere, die Mediceische Venus, der Gladiator, der Zentaur und der Faun, die in den päpstlichen Gärten immer wieder bewundert und studiert werden. Sie finden sich bereits in malerischer Umstilisierung in den Kupferstichen von Joachim Sandrarts teutscher Akademie, einem Werk, das
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für die Vermittlung des römischen Barock und der römischen Altertümer grundlegend wurde. Wir finden Gipsabgüsse dieser römischen Werke z. B. auch in der Berliner Akademie zur Zeit Schlüters. Erst damals begannen in Deutschland eigentliche Antikensammlungen sich von den Kunst- und Wun- derkammern des 17. Jahrhunderts loszulösen. In Berlin entstand die Samm- lung Friedrichs I., in Wien die des Prinzen Eugen, in Dresden die Augusts des Starken, wozu 1723 der Grundstein durch den Ankauf der brandenburgi- schen Sammlung gelegt wurde. Allein das wissenschaftliche Interesse trat vor dem dekorativen Interesse in den Hintergrund, was allein schon durch die barocken Ergänzungen der Torsi dargetan wird. Nicht das antike Rom, sondern das Rom des Barock, wie es die Stiche des Falda und später des Pira- nesi darstellen, beschäftigt die Phantasie der Gesellschaft und der Künstler. Hier, in dem Rom des 17. Jahrhunderts, in dem Rom Urbans VIII., Inno- zenz' X. und Alexanders VII. Chigi, in dem Rom des Bernini und Borromini liegen die Quellen für so viele deutsche Gedanken dieser Zeit. Die Reise nach Rom gehört zur Ausbildung der Fürsten, Edelleute und Künstler, die etwas auf sich halten. Von Rom und anderen Mittelpunkten des italienischen Ba- rock übernehmen unsere Höfe die italienische Oper, die italienische Musik und italienische Karnevals- und Festgebräuche, die während der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts eine tiefgehende Einwirkung auf die Kultur der deut- schen Gesellschaft ausgeübt haben. Noch Friedrich der Große sendet seinen Baumeister Knobelsdorff und seinen Kapellmeister Graun nach Rom und Ve- nedig, um für die neubegründete Berliner Oper Sänger, Tänzer und Musiker anzuwerben.
Neben der italienischen Kunst- und Geistesströmung gewinnt seit rund 1700 die französische höfische Kultur zusehends an Einfluß. Von Paris und Versailles geht namentlich die elegantere Lebensform aus. An den Hof des Sonnenkönigs reisen die jungen Prinzen und ausgesuchte Künstler, um den neuesten Geschmack in allen Dingen der feineren Lebensführung, der Eti- kette, der Mode wie des Bau- und Gartenwesens zu studieren. Ludwig XIV. wurde vorbildlich für das in strenger Steigerung geregelte Hofzeremoniell. Wie der König speiste, wie er empfing, wie er aufstand und zu Bette ging, wurde nachgeahmt. Am stärksten ist die Berührung mit seinem Hofe bei Max Emanuel von Bayern und seinem Bruder Joseph Clemens, dem Kölner Kurfürsten und Erbauer der Schlösser Bonn und Poppelsdorf, die beide in Paris in der Verbarmung gelebt hatten. Man versteht es, daß die großen Pa- riser Schloßbaumeister de Cotte und Boffrand die Berater des Geschmacks dieser und einer Reihe anderer deutscher Fürsten wurden. Der Wiener Hof unter Karl VI. stand stärker unter der Einwirkung der spanisch-italieni-
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sehen Etikette, wie denn auch die Wiener Baukunst von der französischen weniger berührt worden ist. Besonders empfänglich zeigten sich dem franzö- sischen Geschmack gegenüber die Damen. Wir finden die Neigung bereits bei der GemahHn Friedrichs I., Sophie Charlotte. Auch Sophie Dorothea hat ent- gegen ihrem bäuerischen Gemahl, Friedrich Wilhelm I., der französischen Bildung gehuldigt. Sie hat die Neigung dafür auch ihren Kindern Friedrich und Wilhelmine eingepflanzt. Die Überlegenheit der französischen Geistes- kultur über die deutsche war in der Tat bedeutend. Eben hatten Dichtung und Philosophie in Frankreich ihren Höhepunkt erreicht. Die Sprache hatte eine unübertreffliche Klarheit gewonnen. Was konnten wir den Geistesheroen des Siecle de Louis Quatorze, was den Racine, Corneille, Moliere, la Fontaine, Fenelon, Bossuet, in deutscher Sprache an die Seite stellen? Gegen das große französische Theater erschienen die Schauspiele des Gryphius und anderer Deutscher des 17. Jahrhunderts wie Hanswurstiaden. Die deutsche Dichtung hatte sogar gegenüber der Zeit des Opitz, des Angelus Silesius und des Grim- melshausen an Kraft und Ausdruck verloren. Den Höfen diente sie neben dem Lateinischen zur Verzierung und Verherrlichung der großen Feste. Aus- führliche Beschreibungen in bombastischer Sprache, von Kupfern begleitet, wurden von den bestallten Hofpoeten herausgegeben. Am brandenburgisch- preußischen Hofe wirkten in diesem Sinne Canitz und Besser; der letztere ging nach Friedrichs I. Tode an den Hof Augusts des Starken, wo ihm Jo- hann Ulrich von König folgte. Die Schöpfung von Königs Muse ist das Ge- dicht ,, August im Lager", worin das von August dem Starken seinen Gästen Friedrich Wilhelm I. und dem Kronprinzen Friedrich 1730 bei Radewitz ge- gebene Lustlager besungen wird. Pietsch feierte den Sieg Karls VI. über die Türken bei Belgrad, und Günther den Kriegsruhm des Prinzen Eugen in lan- gen Oden. Bedeutsamer ist die Wirksamkeit der Hofhistoriographen. In ihren Arbeiten zur Geschichte der Dynastien ist eine Fülle historischer, ge- nealogischer und pragmatischer Forschung aufgespeichert, die heute noch der Geschichtswissenschaft reichen Stoff liefert. Drei der trefflichsten Köpfe des deutschen Barock sind hier zu nennen : Puffendorf, der Geschichtsschrei- ber des Großen Kurfürsten, Thomasius und Leibniz (Abb. 10), der die Ge- schichte des Hauses Braunschweig-Lüneburg zu bearbeiten hatte. Auch sie mußten sich fast ausschließlich des Lateinischen bedienen. Leibniz schrieb daneben auch Französisch. Die Bestrebungen der beiden letzteren Männer, dem Deutschen Eingang in die Gelehrtenwelt zu verschaffen, blieben zu- nächst noch ,,unvorgreiffliche Gedanken". Für den Hof war die Wissenschaft dienstbarer Geist. Die Freundschaft Leibnizens mit Sophie Charlotte, die er mehrmals in dem Schlosse Charlottenburg besuchte, und der die Theodice ge-
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Abb. 10. Leibniz, von Andreas Scheits Braunschweig, Gemäldegalerie
widmet ist, ist eine der wenigen Ausnahmen. Der Gelehrte wünscht sich wie- derholt von Hannover nach Paris oder London, da er niemanden findet, mit dem er sich besprechen kann. ,,Es ist hier zu Lande nicht hofmännisch," sagt er, ,,sich von gelehrten Dingen zu unterhalten." ,,Als er begraben wurde," berichtet sein Schüler Eckardt, ,,war das einzige zu verwundern, daß, da der ganze Hof ihm zu Grabe zu folgen invitiert war, außer mir kein Mensch er- schienen, so daß ich dem großen Mann die letzte Ehre einzig und allein er- wiesen." Im Mittelpunkt der Interessen der höfischen Gesellschaft standen andere Dinge; neben der Diplomatie und dem Staatswesen das Militär, die Jagd, die festliche Geselligkeit und damit zusammenhängend die Baukunst und die Gartenkunst.
Ganz besonders sticht in dem höfischen Leben die mit höchster Kunst aus- gebildete Etikette hervor. Es wird mit äußerster Peinlichkeit bei den Staatszeremonien jeder Schritt, jede Geste beachtet. Der Zutritt zu den Au-
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Abb. 1 1 . L. de Silvestre, Marie Josepha von Österreich. Dresden, Gemäldegalerie
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dienzgemächern des Fürsten führte durch eine Flucht von Vorzimmern, die eine stufenweise Steigerung der Würde und des Prunks einhielten. Bei Be- suchen fremder Fürstlichkeiten wird jedesmal genau verzeichnet, wie weit der Gastherr den Fremden entgegengeht, ob er sie, was wohl nur bei kgl. Ho- heiten geschah, vor dem Schloßaufgang im Ehrenhofe, ob er die 'Ankommen- den an der Treppe oder erst in seinen Gemächern empfing. Bei der Zusam- menkunft Karls VI. mit Friedrich Wilhelm I. bei Karlsbad wird die Einrich- tung getroffen, daß die beiden hohen Herren zugleich von beiden Seiten in den Saal treten, damit kein Rangunterschied zum Ausdruck kommt. Die Markgräfin Wilhelmine von Bayreuth erzählt in ihren ,,Memoires", dem zweifellos geistvollsten deutschen Werk dieser Gattung, welche Schwierig- keiten beim Besuch des markgräflichen Paares am Hofe des Fürstbischofs Karl Friedrich von Schönborn in Pommersfelden die Etikettefragen bereiten. Es wird mit dem Zeremonienmeister lange vorher hin- und hergestritten über die Anrede, die dem Fürstbischof zukommt, ob „Hoheit", ,,Euer Gnaden" oder nur ,,Euer Lieben." Nachdem dieses glücklich vorüber, kommt es den- noch zu den üblichen Rangstreitigkeiten zwischen den reichsgräflichen Schwestern des Fürstbischofs und den Damen des markgräflichen Gefolges. Es herrscht eine allgemeine Sucht nach Titelerhöhungen, nach Orden und nach glänzendem Prunk. Dem Hof-, Militär- und Beamtenadel strebten die edlen und patrizischen Geschlechter der großen Reichsstädte nach. Auch die emporgekommenen reichen Familien des Kaufmanns- und Gewerbestandes gaben ihrer Lebensführung den vornehmen Anstrich der höfischen Ge- sellschaft. Ohne Kenntnis der gesellschaftlichen Verhältnisse ist die barocke Schloßarchitektur nicht zu verstehen. Ganz merkwürdig mutet uns die Be- obachtung an, daß die kunstvolle Etikette von den Zeitgenossen selbst so häufig als ein Zwang empfunden wird, dem sie sich dennoch wie einer höhe- ren Macht beugen. Fast stets kommt es bei den großen Empfängen und Krö- nungsfesten zu Ohnmachtsanfällen der gefeierten Fürsten. Die Last der Perücken und der goldgestickten Staatsgewänder trug das Ihrige dazu bei. So flüchtet sich denn der prunkliebende Max Emanuel in seine Klause imi Nymphenburger Park, und Kaiser Karl VI., der auf strengste spanische Eti- kette hielt, fühlte sich am glücklichsten auf der Jagd mit wenigen Freunden. Ein Mann, wie Friedrich Wilhelm L, war geradezu ein ausgesprochener Feind allen Prunkes, der Galanterie und der französischen Bildung. Er trug stets die blaue Uniform des Potsdamer Garderegiments und saß am liebsten mit Jagdgenossen in seinen Jagdschlössern Stern bei Drewitz und Königswu- sterhausen. Es leben eben trotz der fremden Bildungstünche die eingebore- nen Kräfte auch in dem Barockzeitalter fort. Ein Beweis ist auch die Lise-
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lotte von der Pfalz, die den Bruder Ludwig XIV. heiratete, aber inmitten der französischen Hofgesellschaft ihr urwüchsiges Naturell bewahrt. Das gilt in viel höherem Maße von den breiten Schichten des Volkes, des kleinen Bür- gertums und des Bauernstandes'). Unbekümmert um die Courtoisie und Mode der höheren Stände ging die breite Masse des Volkes ihre alltägliche Bahn fort. Eine überragende Stellung in der Geistesbildung dieser Kreise kommt, wie wir später zeigen werden, damals noch der Kirche zu. Welch ein starker Strom ungebrochener nationaler Kraft wirkte noch in den Volksbüchern, in den Wander- und Kriegsliedern, wie im ,, Prinz Eugenius der edle Ritter", in Sinn- und Kernsprüchen, in Sitten und Hausrat des Volkes weiter! Es ist allerdings nicht zu leugnen, daß durch die Vorherrschaft der fremden Bil- dung in den höheren Schichten eine in vollem Sinne volkstümliche Kunst und Kultur, wie im Zeitalter Dürers, außerhalb der Kirche erschwert wurde. Es liegt in diesen Zuständen teilweise auch die Quelle für die tiefe Kluft zwi- schen den Gebildeten und dem Volke. So sagt Herder zur Kennzeichnung dieser Epoche: „Mit wem man Deutsch sprach, der war ein Knecht, ein Die- ner. Dadurch also hat die deutsche Sprache nicht nur den wichtigsten Teil ihres Publikums verloren, sondern die Stände selbst haben sich dergestalt in ihrer Denkart entzweit, daß ihnen gleichsam ein zutrauliches gemeinschaft- liches Organ ihrer innigsten Gefühle fehlt. Ohne eine gemeinsame Landes- und Muttersprache, in der alle Stämme als Sprossen eines Baumes erzogen werden, gibt es kein wahres Verständnis der Gemüter, keine gemeinsame pa- triotische Bildung, keine innige Mit- und Zusammenempfindung, kein vater- ländisches Publikum mehr."
Und doch hat sich auch damals das unverwüstliche und so starken Gefah- ren der Überfremdung ausgesetzte eingeborene Gefühl unseres Volkes be- hauptet. Am stärksten gestaltet es sich in der Baukunst. In ihr vereini- gen sich Vornehme und Volk zu gemeinsamer Arbeit. Ein einheitlicher Puls- schlag ist den besten Schöpfungen gemeinsam. Viele der großen Baumeister und Bildner steigen aus der Tiefe des Volkes, aus dem Maurer-, dem Zimme- rer-, Stukkatoren- und Tischlerhandwerk empor. Damals kamen auch stetig und langsam aus dem kleinen Handwerkerstande Fabrikantenfamilien auf, wie unter den Garnbleichern, Färbern und Waffenschmieden im Bergischen und unter den Webermeistern Sachsens, die den Grund zur Blüte der Indu- strie in der Spätzeit des Jahrhunderts legten. Endlich ist noch der großen Chemiker der Barockepoche zu gedenken, unter denen Tschirnhausen und Böttger, die Erfinder des Porzellans, und Kunkel, der Verbesserer der Glas- fabrikation, hervorragen. Es ist doppelt bewunderswert, daß gerade aus dem phantastischen Brauen und Brodeln dieser Adepten- und Goldmacherküchen
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so viele sachliche Ergebnisse hervorgegangen sind. Am hellsten aber er- leuchtet den Eingang des Jahrhunderts der Genius des Leibniz. Er ist der tiefste und reichste Geist des deutschen Barock, fast bedrängt von seiner all- umfassenden Gelehrsamkeit und dem rastlosen Forscherdrang. Die mathe- matischen und logischen Ideenreihen des Des Cartes und die Erfahrungen der englischen Philosophen und Naturwissenschaftler vereinigen sich in sei- nem System. Die beseelte Monade und die prästabilierte Harmonie seines Weltbildes bezeichnen eine ähnliche Bereicherung und Erweiterung der Ge- danken des Barock, wie sie auch die Baukunst auf deutschem Boden voll- zieht. Als die dritte im Bunde gesellt sich zu ihnen die deutsche Musik des Barock, die in Händel und Bach gipfelt.
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4. DIE GROSSEN FESTE
Keinen sinnfälligeren Ausdruck für den Seelenzustand des Barock gibt es als die Art, wie er seine Feste feierte. Am Ende des 17. Jahrhunderts er- reichte die Festeskultur des höfischen Europa einen vorher und nachher nie wiedergesehenen Glanz. Damals kamen die in der Renaissance entsprossenen Keime zur üppigsten Entfaltung. Der Festbetrieb des deutschen Barock steht wie selbstverständlich in engster Fühlung mit dem der italienischen Höfe; die Götterfestzüge, die Ballette, die Turniere, Ringelstechen und Kar- nevalsfeste, die Karussels und Tierhetzen, die Komödien und Opern, die na- mentlich am Hofe Leopolds I., Josephs I. und Karls VI. in Wien, Max Ema- nuels in München, der Johann George und Augusts des Starken in Dresden aufgeführt werden, sind Nachbildungen italienischer Feierlichkeiten. Ita-
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liener wie Burnacini, die Galli Bibiena und andere Festdekorateure haben dabei eine wichtige Rolle gespielt. Das italienische Fest- und Maskeraden- wesen drang aber nicht nur in das geistige und künstlerische Leben der deut- schen Höfe — es befruchtete auch die deutschen Gemüter, so daß deren Vor- stellungs- und Gedankenwelt im Beginn des i8. Jahrhunderts daraus starke Anregungen schöpfte. Große deutsche Baumeister wie Fischer von Erlach, Hildebrand, Neumann, Schlaun usw. treten als Festarrangeure auf. Die von ihnen und ihren Zeitgenossen ausgestatteten und geleiteten Staatszeremo- nien, Kirchen-, Freuden- und Trauerfeiern eröffnen uns erst das volle Ver- ständnis für den Sinn ihrer architektonischen Schöpfungen. Rufen wir uns die längst verklungenen rauschenden Feste ins Gedächtnis, erfüllen wir die Prozessionswege und das Innere der Kirchen, erfüllen wir die Straßen, die Schloßplätze und Höfe, die Gärten und Teiche, die Säle und Galerien der Schlösser, ihre Opernhäuser und Kapellen mit den farbenbunten Scharen, die sie an solchen Tagen belebten : dann erst gewinnt das Bild des Barock seine Rundung. Der Barock als Ausdruck eines hochgesteigerten Lebensgefühls wird dann erst im ganzen Umfang verständlich. Die zahlreichen kostspieligen Kupferwerke und bis ins Einzelne gehenden Beschreibungen, in denen die Epoche die wichtigsten Ereignisse der Art festgehalten hat, beweisen über- dies, daß sie darin mehr als bloß vorübergehende Vergnügungen gesehen hat. Sie hat ihre Feste mit demselben Ernst wie die monumentalen Bau- und Kunstangelegenheiten behandelt. Uns sind die Zeugnisse hierüber nicht we- niger als die anderen Kunstschöpfungen unentbehrliche Quellen des Denkens und WoUens unserer Vorväter aus dem 1 8. Jahrhundert-).
Der moderne Mensch, der nichts so sehr verlernt hat, als das wahre Feste- feiern, muß sich vergegenwärtigen, daß die großen Feierlichkeiten des Barock nur auf dem Grunde des damals noch vorhandenen künstlerischen Gemein- samkeitsgefühls von Hoch und Niedrig erwachsen konnten. In ihnen findet das freudig erregte Volksgemüt seinen höchsten Ausdruck. Bei den Kirchen- und großen Heiligenfesten und Wallfahrten selbstverständlich. Aber auch die Einzüge, Sieges- und Krönungsfeiern der Fürsten, ihre Vermählungs- und Totenfeste wurden von dem ganzen Volke als Zuschauern, ja als Mitwirken- den erlebt. Es wäre ganz töricht zu glauben, daß Kurfürst Friedrich III. von Preußen, als er aus eigener Machtvollkommenheit sich und seiner Gemahlin die Königskrone aufs Haupt setzte, dies bloß aus persönlicher Eitelkeit und Prunksucht tat : Nein, das ganze Preußenvolk fühlte sich in dieser Handlung mittätig erhoben. Die reichen freiwilligen Krönungssteuern aus dem ganzen Lande beweisen das zur Genüge. Gewiß muß man manche Übertreibung in den Schilderungen der bestallten Hofpoeten auf ihr Maß beschränken. Auch
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ist nicht zu vergessen, daß eben der Barock ein mit allen Mitteln arbeitender Meister in der Inszenierung war. Dennoch ist ein Hof- und Krönungsfest von dem aufrichtigen Freudeempfinden der breiten Massen getragen gewe- sen. Man muß dem Hofmarschall von Besser Glauben schenken, wenn er den Volksjubel bei der Königsproklamation in Königsberg beschreibt. Unter dem Donner der Geschütze und demTrompetenschall von allen Türmen ,, ent- stand auf dem Markte ein so lautes und allgemeines Freudengetümmel, daß es von Gasse zu Gasse, ja von einer Stadt zur anderen erschallte und die An- kommenden vom Lande zu ihrer Verwunderung mit darunter verwickelt wurden, bevor sie noch wissen konnten, was ein so unverhofftes und in den preußischen Grenzen nie erlebtes Frohlocken bedeuten sollte." Bei der Krö- nungsfeier in der Schloßkirche bewirkten die in dem Feuer der Brillanten strahlende Krone und die goldbestickten scharlachroten Ornate des könig- lichen Paares bei allen Anwesenden gesteigerte Begriffe von ihrer Herrlich- keit. Besonders schimmerte die Krone aus den dicken Buckeln des natürlich gekrollten kohlschwarzen Haares der Sophie Charlotte desto heller hervor, so daß alle Anwesenden von dem Anblick wie betroffen waren. Um den Jubel des Volkes zu steigern, wurde diese Königskrönung, wie stets auch die Kai- serkrönung, damit beschlossen, daß Münzen unter die Menge geworfen und ihr ein gebratener Ochse und Wein als Symbol des Überflusses und der Wohltätigkeit preisgegeben wurden. Die herzliche Teilnahme des Volkes an den Feierlichkeiten seines Kaiserhauses beleuchtet die Erzählung, die Goethe als Knabe von älteren Frankfurtern erfuhr. Als Franz I. nach der Krönung im Dom in dem seltsamen Ornat an einem Balkonfenster neben dem Römer seiner jungen Gemahlin Maria Theresia gegenübertrat und sich ihr sozusagen als ein Gespenst Karls des Großen dargestellt, habe er wie zum Scherz beide Hände erhoben und ihr den Reichsapfel, das Zepter und die wundersamen Handschuh hingewiesen. Darüber sei die junge Kaiserin in ein unendliches Lachen ausgebrochen, welches dem ganzen Volke zur größten Freude und Erbauung gedient, indem es darin das gute und natürliche Ehgattenver- hältnis des allerhöchsten Paares der Christenheit mit Augen zu sehen ge- würdigt worden. Als die Kaiserin nun ihrem Gemahl ein lautes Vivat zurief, wollte das Freudengeschrei des Volkes gar kein Ende nehmen.
Die Kaiserkrönung zeichnete sich natürlich als die ehrwürdigste Feier des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation durch den Prunk, den die Kurfürsten und Stände des Reiches entwickelten, vor allen übrigen Festen aus. Die tagelangen Einzüge, Empfänge und Begrüßungen, die Wahlhand- lung, die Krönung und Salbung im Dom, die anschließenden Festtafeln, Illu- minationen und Volksbelustigungen vollzogen sich in einer genau geregelten
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Abb. 13. Ein Damenfest unter August dem Starken
Ordnung. Der Aufbau dieser Zeremonien, wo jeder Schritt beinahe von dem Obrist-Hofmarschall geregelt war, ihre Steigerung zum Höhepunkt der Fei- er, die Verknüpfung sinnvoller historischer Bedeutung mit kostbarem Wap- pen-, Herolds- und Livreenprunk: dies allein erhob bereits die Feier zum Kunstwerk. Es sei auf die Darstellung der römischen Königskrönung in der Reichsstadt Augsburg 1690 verwiesen. Hier ziehen nacheinander unter Ka- nonen- und Trompetenschall alle die Fürsten oder ihre Gesandten ein, die diese erste Epoche des deutschen Barock kennzeichnen, mit einem unabseh- baren Gefolge von Karossen, mit Domherren, Kavalieren, Ministern, davor und dahinter Trabanten, Pagen und Garden, alle in bunten Samt- und Sei- dengewändern : Die Kurfürsten, voraus der Erzkanzler Anselm Franz von Mainz, Johann Hugo von Trier, Joseph Clemens von Köln, Philipp Wilhelm von der Pfalz, Max Emanuel von Bayern, Johann Georg III. von Sachsen, Friedrich III. von Brandenburg usw.
Alle Künste, die bildenden, die redenden und die Musik, standen im Dienst der Sache. Die Architektur aber leitete das Ganze. Mächtige Ehrenpforten als Nachbildungen römischer Triumphbogen, Ehrensäulen und Denkmäler bildeten den Mittelpunkt des von einheitlichen Gedanken beherrschten Fest- schmuckes. Beim Einzug Friedrichs I. nach seiner Krönung in die Residenz Berlin waren sechs großeEhrenpf orten errichtet, die auf das Schloß zuführten. Der Chronist berichtet ausdrücklich: ,,Sie standen in einer Reihe, wurden in Perspektive gesehen und erschienen dem Durchziehenden nicht an- ders als entweder die in einem Palast hintereinander gelegenen, reich aufge-
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Abb. 14. Einzug Josephs I. in Nürnberg, 1704 (Ausschnitt)
schmückten Gemächer, oder als die bei den Karussels gewöhnlichen Schran- ken mit Neugierigen auf beiden Seiten." Den Endpunkt dieser Dekorationen bildete das eben vollendete Portal Schlüters mit den vier majestätischen Säu- len am Schloßplatz (Abb. 16). Durch dieses betrat der Festzug den gewal- tigen Säulenhof Schlüters, dessen Mitteltrakt das zur Flucht der glänzenden Paradekammern hinaufführende Treppenhaus umschließt. So erst enthüllt sich uns der triumphale Gedanke in dem Schloßbau Schlüters. Fischer von Erlach, der große österreichische Zeitgenosse Schlüters, entwarf die Tri- umphbogen zum Einzug seines Herrn Josephs I. als römischen Königs in Wien i6go, deren einer eine Quadriga mit vier sprengenden Rossen zierte. Die Festbauten Fischers werden bezeichnenderweise von seinem Freunde Wagner von Wagenfels als Triumphe des deutschen Meisters über die Welschen gefeiert. ,, Dieses war ein schöner Triumpf- und Ehren -Tag, in welchem nicht allein Ihre Königliche Majestät, als wie ein, zur Frolockung des sämmtlichen Volcks vom Himmel herabgeschickter Engel in das weltbe- herrschende Wien mit einer unvergleichlichen und von der Teutschen Weiss- heit wohlangeordneten Pracht Siegprangend eingeritten, sondern an wel- chem auch die Teutsche Kunst und Geschicklichkeit wider die Hochachtung der Ausländer in den Gemüthern aller Zuschauer einen sehr herrlichen Sieg erhalten hat." Die architektonische Ordnung, die den Festen des Barock zu- grunde liegt, wird auch in den Balletten, Turnieren und Karussels eingehal- ten. Das zum Karneval 1722 im Zwinger in Dresden abgehaltene „Caroussel Comique" ist eine von Kavalieren und Damen in Masken der italienischen
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Abb. 15. Vom Seitenflügel des Zwingers in Dresden von Pöppelmann, um 1720
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Abb. i6. Südportal des Berliner Schlosses, von Andreas Schlüter, 1701
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Abb. 17. Gesamtansicht des Zwingers in Dresden, Gemälde von Canaletto
Charakterkomödie aufgeführte Quadrille. Scaramuzi, Crispini, Harlequini, Pantaloni, Dottori, Bringhelli, Policinelli und Capitani ziehen in rhythmischer Ordnung von Charivarimusiken geleitet in die Arena. Es folgen allegorische Kämpfe und Turniere — acht welsche Ritter bekämpfen die Elemente, alles möglichst ,,egal und in gleicher Distance", und mit derselben zeremoniösen Regelmäßigkeit vollzieht sich die anschließende Festtafel in der Bildergalerie. Wie sehr dieser ordnende Grundzug des Barock selbst das militärische Exer- zieren, Lager- und Uniformenwesen beseelte, ja daß er von dem künstle- rischen Empfinden mit vollen Zügen genossen wurde, beweist das von August dem Starken zu Ehren Friedrich Wilhelms I. und des Kronprinzen Friedrich im Juni 1730 bei Mühlberg an der Elbe abgehaltene, von den Zeitgenossen verherrlichte Lustlager der polnisch-sächsischen Armee. Für diese martiali- schen Lustbarkeiten wurde eine Ebene von drei deutschen Meilen planiert, in deren Mitte sich der königliche Pavillon erhob. Der Sinn für strenge Ord- nung geht so weit, daß die abgeschlagenen Bäume ,,in Klaftern sehr ordent- lich in zwo Linien gesetzt am Horizont stunden, und daß die geschickte Auf- stellung nicht genugsam zu bewundern war". König August hatte für sich selbst ein Palais aus Holz mit kostbar tapezierten Zimmern, mit Küche, Kel- lerei, Konditorei, Galanteriebutiken und Kaffeehäusern errichten lassen, wo Janitscharen und Mohren aufwarteten — alles auf grün gestimmt — , wäh- rend das preußische Hauptquartier in prächtigen Zelten logierte. Die Armee
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Abb. i8. Der Pavillon des Zwingers in Dresden, von Pöppelmann, um 1720
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kampierte in Ordre de Bataille in zwei langen Linien, an deren Ende je eine steinerne Pyramide aufragte. Jedes Regiment in seinen prächtigen Unifor- men und Farben um seine Fahnen und Standarten geordnet. Der ,,Accura- tesse und Proprete" dieses Zeltlagers zollt der Berichterstatter Bewunderung. Den Höhepunkt der Übungen bildet der Parademarsch und das Exerzieren, das Quareesbilden, die Handgriffe nach dem Trommelschlag, das Feuer in Gliedern und dergleichen Vorführungen, worin die sächsische Armee der preu- ßischen nacheiferte. Zum Beschluß wurde ein vierzehn Ellen langer Kuchen gebacken, wozu ein besonderer Ofen gebaut war. Unter Leitung eines Ober- landbaumeisters wurde der Kuchen von einem Zimmermann zerlegt; also auch in diesem echt barocken Scherz wird doch die architektonische Seite nicht vergessen!
Die Plastik und Malerei entfalteten im Bunde mit der Architektur ihre ganze Kraft, um den Festen Gehalt und Form zu geben. Figurenreiche alle- gorische Gruppen und Gemälde schmücken die Ehrenpforten und Denkmäler. Der hochgesteigerte Ruhmsinn findet hier das Feld seiner Betätigung. So sind die Triumphpforten und Ehrenpyramiden, durch die August der Starke nach seiner polnischen Königskrönung in Danzig einzieht, mit Darstellungen ,,der von seiner kgl. Majestät vollführten Heldentaten" geschmückt; ,,der König erscheint ganz geharnischt im Purpurmantel gemalt als unüberwind- licher Monarch in freundlicher doch königlicher und heroischer Gestalt", über ihm Fama und Virtus, gegen die zwei giftige Nattern anzischen. Ähn- lich werden Max Emanuel und Therese Kunigunde bei der Rückkehr aus der Verbannung nach München im Juli 17 15 durch Ehrendenkmäler gefeiert. Sie erscheinen auf einer Ehrenpforte nach dem Leben gemalt ,,in vollkommener Freudsvergnügung sitzend" von Tugenden und Göttern umgeben. Auf dem Festwege werden sie begrüßt durch einen Lustberg mit Wasserfällen und grünenden Bäumen, dazwischen die Bilder ihrer Lustschlösser, ferner durch ein Bassin in Form einer wassersprühenden Galeere, sowie durch Statuen und Gruppen antiker Gottheiten, die in sinnbildliche Beziehungen zum Ruhm des Hauses Bayern gesetzt sind.
Selbst in den Trauerfestlichkeiten wird der Gedanke des Heldenruhmes betont, ja hier wirkt er im Gegensatz zur Schaustellung von Todestrauer und Schrecken und der Vergänglichkeit doppelt stark. In dem „Castrum doloris", der feierlichen Aufbahrung des fürstlichen Leichnams in der völlig schwarz ausgeschlagenen Kirche, tritt die rauschende Inszenierung der Barockgefühle in einer Weise zutage, die uns Nachfahren besonders schwer verständlich ist. Was ist hier wirklicher Schmerz, was ein selbstgefälliges Wühlen im Schmerze? Ähnlich wie angesichts vieler religiöser Kunsterscheinungen be-
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Abb. 19. Pagodenburg im Park von Nymphenburg, um 1720
wegt uns die Frage : wo geht der Ausdruck wirklichen Gefühls in theatralische Schaustellung über? Der Historiker steht an einem Punkt, wo er der Ver- gangenheit nicht mehr ins Herz sehen kann. Gibt es einen größeren Gegen- satz als eine solche Totenfeier, wie sie Fischer von Erlach seinem Herrn, Kai- ser Joseph I., in der Augustiner- Hofkirche, Eosander seiner Herrin, Sophie Charlotte, im Berliner Dom und Effner dem Kurfürsten Max Emanuel in der Theatinerkirche anrichtete, mit einem modernen Leichenbegängnis? Kaiser Josephs Katafalk steht zwischen den vier Mittelpfeilern der Kirche, die, in Trajanssäulen verwandelt, die glorreichen Taten des Kaisers wie in Metall gegossen darstellen. Die Totenbahre mit schweren goldgestickten Trauer- decken, deren vier Ecken römische Klageweiber halten, ist umgeben von Fi- guren in der traurigsten Stellung, Matronen, die das römische Reich und die Provinzen Österreichs darstellen. In der Höhe schwebende Engel und dahin- ter eine Apotheose auf Wolken, über welche der Kaiser als Imperator auf einer von zwei Adlern gezogenen Biga emporfährt. Darüber ein Baldachin mit der Kaiserkrone und Genien mit Schrifttafeln: die herabfallenden Dra- perien des Baldachins sind in den Seitenschiffen an Wolkenballen aufge- knüpft. Über dem Eingang zu dem kaiserlichen Begräbnis brach aus einem Vorhange „das Gerücht" — der Ruhm — hervor, auf dessen Trompetenfahne der in den alten Triumphen gebräuchliche Zuruf: Jo Triumpfe!
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Abb. 20. Galakutsche von der Kaiserkrönung in Frankfurt, 1764. Berlin, Schloßmuseum
Der Barock suchte, wo es möglich war, die Festdekorationen auch in Stein und Stuck über die Vergänglichkeit des Tages hinaus zu verewigen. Nament- lich dort, wo er die Bürgschaft dauernden Ruhmes wünschte. Besonders am Berliner Schloß macht sich das Ruhmesstreben noch heute geltend; so an dem von posaunenblasenden geflügelten Genien belebten Triumphbogen Eosanders nach der Schloßfreiheit zu, ferner in der von Eosander geschaffe- nen Bildergalerie, wo das königliche Paar an den Decken erscheint, von Mu- sen umgeben, während die Laster von Genien in wildem Kampfe über die Gesimse heruntergeschleudert werden; der höchste Festjubel entfaltet sich in dem Schlüterschen Rittersaal, wo aus den vier Ecken plastische Scharen, die Gesimse durchbrechend, zur Decke emporströmen und sich, gemalt, mit Wolken zum Zenith aufschwingen, den Ruhm des Erbauers dieses Schlosses, des Zeughauses und des Charlottenburger Schlosses unter Posaunenge- schmetter der Ewigkeit verkündend. Das Prunkbüfett, das nach Eosanders Zeichnung von Augsburger Goldschmieden ausgeführt wurde, diente zum Schmuck des Krönungsfestes im Jahre 1703 und ist ausgesprochenermaßen eine verewigte Festdekoration. Die äußerste Verschwendung mit Prunksilber trieb August der Starke auf seinen Festen; so ließ er 17 19 bei der Vermäh- lungsfeier des Kurprinzen mit der Kaisertochter ein Riesenbüfett mit silber- nen Pokalen, Schwenkkesseln, Becken und Leuchtern errichten. Diese Ver- mählungsfeierlichkeiten gehen über alles hinaus, was uns sonst überliefert ist. Noch halten einige der mit Federn besteckten Pferdegeschirre im Histori-
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Abb. 21. Schlittenpferd Augusts des Starken, 1719. Dresden, Histor. Museum
sehen Museum die Erinnerung an die abgehaltenen Schlittenfahrten fest (Abb. 21). Das Dresdener Grüne Gewölbe birgt einen Teil des von Ding- linger und anderen geschaffenen Prunksilbers des Königs. Die großartigste steingewordene Festarchitektur ist der Zwinger in Dresden (Abb. 18). Es ist nichts weiter als ein großer viereckiger Festplatz mit Galerien für die Zu- schauer, umgeben mit Pavillons und Sälen, den August der Starke durch Pöp- pelmann seit dem Jahre 1709 im Anschluß an die wochenlangen Schaustellun- gen und Lustbarkeiten aufführen ließ, die er damals seinem Verbündeten Friedrich IV. von Dänemark gegeben hatte. Desgleichen sind die reichge- schmückten Gnadensäulen, die man in Österreich zum Dank für überstan-
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dene Türkengefahren und Pestseuchen errichtete, in Stein umgesetzte Fest- gerüste; die berühmteste, die Pestsäule auf dem Graben in Wien mit dem zwischen Engeln knieenden Kaiser Leopold I., von Burnacini unter Mitwir- kung des jungen Fischer von Erlach und Rauchmüllers geschaffen, war ur- sprünglich in Holz aufgeführt worden. Vollends sind die pompösen fürst- lichen Grabmäler nur zu verstehen als dauernd gewordene Trauergerüste, an blei-, bronze- und zinngegossenen Särgen entfaltet sich stellenweise ein unglaublicher Prunk. Wahrhaft tiefempfundene plastische Schöp- fungen sind die Särge Friedrichs I. und der Sophie Charlotte von Schlüter in der Berliner Domgruft (Abb. 22). Der ganze Apparatus Funebris, der den Katafalk des Castrum Doloris umgab, findet sich häufig auf dem Sarkophag und dem hohen Aufbau wieder. Die klagenden Tugenden, die posaunenden Engel, die Totengerippe, die Inschrifttafeln, die Pyramiden, die Draperien, Fahnen, Standarten, Waffen, Kanonen und Pauken. So steht Prinz Ludwig von Baden, der Türkensieger, inmitten seiner Kriegstrophäen auf dem Rie- sen-Epitaph im Chor der Kirche in Baden-Baden. Adler und Engel stürzen sich auf die Türkenkrieger herunter. Man glaubt kriegerische Fanfaren und Paukenwirbel zu hören. Gerade die Siege über die Türken haben in den Fest- triumphen und Grabmälern ihre Verherrlichung gefunden. Prinz Eugen wird von Permoser in einer rauschenden marmornen Apotheose im Belvedere ge- feiert — der Held sucht dem Ruhmesgenius die Posaune zuzuhalten! — , ähn- lich August der Starke im Dresdener Großen Garten.
In diesen Triumphen kommt die Freude des Barock am Lauttönenden zu Wort. Er liebt die schmetternden Posaunen, die Janitscharenmusik, Schal- meien, Trommeln, Pauken und Messingbecken, und das Dröhnen der Kano- nen. So auch starke Lichteffekte, den strahlenden Blitz und dunkle Wolken. Immer und immer weisen die Festchronisten darauf hin. So heißt es von der Vermählungsfeier Friedrichs I. im Dom, die Eosander ausschmückte, die Illu- mination mit Wachslichtern hätte den Eindruck erweckt, als sei die ganze Kirche von der Sonne beleuchtet gewesen. Auf dem Triumphbogen beim Ein- zug Augusts des Starken in Danzig sieht man einen Donnerpfeil aus feuriger Wolke: einen sich aufschwingenden Adler; die Sonne über einer Landschaft strahlen: dann wieder die Sonne aufgehen und nachtvertreibend. Den Ab- schluß jedes großen Barockfestes bildet daher eine Riesenillumination, ein Luft- und Wasserfeuerwerk von Kanonenschlägen begleitet. ,, Berlin schim- merte nicht, sondern brannte gleichsam in allen Gassen von Lichtern, Lam- pen, Fackeln und Freudenfeuern", berichtet der Chronist von der Illumina- tion des Krönungsfestes und fühlt sich an den Brand Roms unter Nero er- innert. Unter einem Regen von Streitfeuern, Wasser- und Landschwärmern
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Abb. 22. Metallsarkophag Friedrichs I. Schlüter, um lycS. Berlin, Domgruft
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und Schlangen wird auf dem Wallgraben die Rückkehr der Flotte Jasons als allegorische Verherrlichung der Majestäten mit Beistimmung aller Seegötter aufgeführt. Unterdessen wird aus hundert Geschützen und Mörsern unter Leitung des Generalfeldzeugmeisters Prinz Philipp von Schwedt zwei Stun- den lang kanoniert. „Die ganze Gegend geriet in Zittern und Beben, gleich als wenn Himmel und Hölle unter einander fallen." Zum Liboriusfest in Pa- derborn entwarf der Artillerieoffizier Schlaun ein Wasserfeuerwerk, dessen Zeichnung noch erhalten ist. Den Vogel schießt wiederum das Lustlager Au- gusts des Starken an der Elbe ab. Es wird beschlossen durch die Illumina- tion eines prächtigen Schlosses mit einem heidnischen Göttertempel, als Alle- gorie in kunstvollster Perspektive von Italienern gemalt. Unter dem Donner von sechzig Kanonen, unter dem Pauken- und Trompetenschall der versam- melten Armeemusiken leuchtet eine Inschrift auf ,,Sic fulta manebit", wäh- rend Streitfeuer, Lauffeuer, Lustkugeln und Raketen durcheinander zischen. Nun zieht die königliche Lustflotte vorüber, mit tausend Lämpchen beleuch- tet, unter den Klängen der darauf stationierten königlichen Hofkapelle. Vor- an ein riesiger Walfäsch, ,, Feuerfax" genannt, von vier feuerspeienden Del- phinen begleitet. An der Spitze der Fregatten, Brigadinen, Schaluppen und Gondeln der Buzentaurus, das Schiff der Kronprinzessin mit vergoldeter Schnitzarbeit bedeckt. Von ihm erklang im Vorüberziehen eine ,,Egloga dal Campo di Radewitz", von einer italienischen Frauenstimme gesungen und von Virtuosen akkompagniert. Auch hier beschließt das Zusammenspiel sämt- licher Trompeten, Waldhörner, Pauken und übrigen Instrumente unter dem unaufhörlichen Krachen der Kanonen die Feier.
Architektur, Natur, rauschende Wasser, Beleuchtung und Musik kommen zu zarteren poetischen Stimmungen zusammen auf einem nächtlichen Gartenfest der Sophie Charlotte im Schloßpark von Oranienburg. Ein Som- mersaal, durch den eben aus Frankreich zurückgekehrten Eosander von Laub- und Blumenwerk errichtet, dem Triumph der Liebe geweiht, öffnet sich plötzlich und die Festgesellschaft erblickt eine Springbrunnengrotte in magischer Beleuchtung. Peleus und Thetis und ein Chor von Flußgöttern, auf den Felsstufen lagernd,' besingen die Götter, Menschen und Tiere be- zwingende Macht Amors, von Oboen, Theorben, Flöten oder dem Orchester begleitet, ,,so bei der stillen Nacht und unter dem Geräusch der Kaskade die Luft nicht anders als mit einem angenehmen Widerschall erfüllen konnte."
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5. DIE STELLUNG DER BAUKUNST IM i8. JAHRHUNDERT
Ein Hauptkennzeichen des deutschen Barock ist die überragende Stellung der Architektur innerhalb der bildenden Künste. Darin offenbart sich, daß das Barockzeitalter für uns den Beginn einer neuen Epoche darstellt, ähnlich wie es für das Mittelalter die Zeit des romanischen Stils gewesen ist; die Ar- chitektur wird wiederum eine Mutter der Künste. Ja, sie ordnet jetzt in noch höherem Grade den ganzen Kreis des Wirkens, der die Bewohnung, die Fruchtbar- und Nutzbarmachung, die Verbesserung und Verschönerung der Erde umfaßt. Die Grundgedanken der Baukunst durchdringen auch die übri- gen Künste. Das Zier- und Stückwerk der deutschen Spätrenaissance wird nicht mehr geduldet. Durchgreifend» Pläne werden die gebieterische Forde- rung der Zeit. Die deutschen Städte ehielten bis über den Dreißigjährigen Krieg die gedrängte winklige Bauart bei. Eingezwängt in die hohen Mau- ern und Türme, um ihre Kirchen gedrängt, erscheinen sie noch auf Merlans schönen Kupferstichen. Nur enge Tore gewähren Ein- und Auslaß. Nur ge- wundene Hohlwege und schmale Zugbrücken bilden den Zugang. Mit dem Barock entstehen regelmäßige Vorstädte mit geraden Straßen, mit rechtecki- gen Plätzen und breitgelagerten Häusern, namentlich dort, wo die Hugenot- ten zuziehen, so in Berlin, in Schwedt, in Kassel, in Ansbach und Erlangen. Residenzstädte nach genauer Planung entstehen zugleich mit den Schlössern, wie in Mannheim, in Karlsruhe, in Ludwigsburg, in Ludwigslust und Saarbrük- ken. DerWillederFürstenbestimmtnichtnurdasNetzderStraßen, sondern ge-
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Abb. 23. Residenz in Würzburg, von Balthasar Neumann, um 1730, Mittelteil
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bietet auch strenge die gleichmäßige Höhe und Farbe der Häuser. Die neuen Formen der Befestigungskunst, die strahlenförmigen flachen Bastionen, die ge- raden Glacis und Gräben, die regelmäßigen Tore und überhaupt die Militärbau- ten, die Wachtgebäude, Kasernen, Soldatenwohnungen und Arsenale haben die Regelmäßigkeit im Städtebau befördert. Die großen französischen und hol- ländischen Lehrmeister im Festungsbau, Vauban, der die Festung Neubreis- ach angelegt hat, und Coehoorn wirkten umgestaltend auch auf den Städte- bau. Neben den Kupferwerken, unter denen Belidors Ingenieurkunst den er- sten Rang einnimmt, verbreiteten holländische, französische und italienische Ingenieure die neuen Gedanken in Deutschland. Die Planung und Befesti- gung Berlins von Memhard, die Befestigung von Wesel durch de Bodt, die Festungswerke von Rastatt, Philippsburg, Küstrin, Magdeburg und Stettin sind wichtige Denkmäler der Art. Das Ingenieur- und Artilleriekorps stellte denn auch zahlreiche Meister für den Hochbau.
Einen beträchtlichen Aufschwung nahm in dem Barockzeitalter auch der Wasser-, der Kanal- und Hafen-, der Schleusen- und Mühlenbau. Hier stand wieder Brandenburg-Preußen an der Spitze, wo sich durch die Holländer eine tüchtige Schule in diesen Fächern bildete. Seit den Tagen des Großen Kur- fürsten und seiner Gemahlin Luise Henriette von Oranien, der Gründerin Oranienburgs, ist von den Hohenzollern Bewundernswertes darin geschaffen worden. Hand in Hand mit diesen Arbeiten ging die Trockenlegung der Brüche, die Befestigung der Flugsandstrecken und die Anlage von Koloni- stendörfern. Auch diese Aufgaben wurden von den Fürsten in die Hände der ersten Architekten des Landes gelegt, und nur so erklärt sich das Gepräge: der Ordnung und der Regelmäßigkeit, der Solidität der Arbeit, das den Dorf- gründungen anhaftet. Aus der Zeit Friedrich Wilhelms I. ist die Entwässe- rung des Fehrbelliner Luchs und großer Strecken in Ostpreußen, aus der des großen Königs die des Netze- und Wartebruchs, des Maduesees in Pommern hervorzuheben. Daneben entwickelte sich in dieser Epoche zukunftsfroh der Salinenbau — für den z. B. der Hamburger Sonnin gearbeitet hat — der Bau von Bade- und Brunnenhäusern, von Windmühlen, Hebekrähnen, Eisenhüt- ten und endlich der Bergbau. Balthasar Neumann war ein Meister in dem technischen Bauwesen. Außer den preußischen Herrschern haben sich die meisten anderen deutschen Landesherrn, besonders Kaiser Karl VI., die Braunschweiger, die Herzöge von Württemberg und Hessen-Kassel, die Kur- fürsten von Sachsen und die Fürstbischöfe von Würzburg und Speier usw. unbestreitbare Verdienste um die Entwicklung des Fabrikwesens erworben. Unter den Zeichnungen der meisten großen Baumeister des deutschen Barock und der Folgezeit finden sich Entwürfe zu technischen Gebäuden und Anla-
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gen. Es wäre eine schöne und zeitgemäße Aufgabe, dieses Material bekannt- zumachen. Gerade darin enthüllt sich die gesunde und selbstverständliche künstlerische Arbeitsweise des 1 8. Jahrhunderts, und es erschließen sich will- kommene Ausblicke auch in die abseits der reichen Prunkarchitektur liegen- den Leistungen der Zeit. Auffallend vernachlässigt wurde dagegen der Bau der Landstraßen. Der Zustand derselben war fast mittelalterlich. Alle Reise- beschreibungen der Zeit wimmeln von Berichten über Stürze der Postwagen und Kutschen. Gründe der Landesverteidigung und der Handelserschwerung durch das Merkantil- und Zollsystem haben diesen Zustand begünstigt. Denn wie meisterhaft die Zeit den Straßenbau verstand, beweisen die herrlichen breiten und schnurgeraden Alleen, die von den Landschlössern ins Land strahlen. Beispiele sind die Alleen aus Max Emanuels Zeit um Schleißheim, die Friedrich Wilhelms I. um Potsdam, die zwischen Bonn und Poppeisdorf. Und die vom Schlosse Schwedt ausgehenden, darunter die berühmte mit vier Baumreihen besetzte Mittelallee nach Mon-Plaisir. Hierher rechnen auch die sternartig angelegten meilenlangen Schneisen, mit denen die für die Parforce- jagd bestimmten Wälder durchzogen wurden (z. B. der Wald bei Moritz- burg). Beiläufig ging mit der hohen Jagdkultur des 1 8. Jahrhunderts eine musterhafte Forstpflege zusammen. Noch heute genießt Deutschland vor allen anderen Ländern die Segnungen der Waldpflege und des Jagdschutzes seiner Fürsten. In Wald und Flur betätigte sich auch eine zur höchsten Kunst gediehene Landesvermessung.
Zum Verständnis dieser umfassenden Wirksamkeit der Baumeister muß man sich vergegenwärtigen, daß die Architektur des Barock auf den streng- sten mathematischen Grundlagen beruhte. Die Ausbildung der Architekten ging zusammen mit der der Ingenieure. Nicht nur in den Grundrissen und Aufrissen, sondern selbst in den schmückenden Säulenordnungen und Glie- dern wurde die strengste Gesetzmäßigkeit gefordert. Daher gehörte die Entj- Wicklung der fünf Säulenordnungen nach Moduln unter Zugrundelegung de^ Vignola zu dem ABC der Architekten des 1 8. Jahrhunderts. Aber nicht nur das rein Architektonische, die Festigkeit und Statik der Gebäude : alle Glie-- der sind der mathematischen Herrschaft Untertan. So erklärt die deutsche Vorrede zur Übersetzung des Belidor : Keineswegs seien die Zieraten bloß ungefähre Einfälle, sondern auch sie erhielten erst von den mathematischen Regeln ihre wesentliche Schönheit. Selbst für einen scheinbar so unbeküm- mert schaffenden Meister wie Balthasar Neumann, den Erbauer des Würz- burger Schlosses, ist die mathematische Grundlage seiner Pläne nachgewie- sen worden (Rotunde von Fünfkirchen). In dieser mathematischen Regelung der Grundrisse und der Verhältnisse beruht der unleugbare Vorrang der fran-
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Abb. 24. Treppenhaus im Schloß von Pommersfelden, um 1720
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zösischen Architekten des Barock. Eine geradezu geniale, anschaulich ge- wordene mathematische Veranlagung tritt uns in den Gebäuden und Gärten der französischen Baumeister Ludwigs XIV. und seiner Nachfolger entge- gen. Genau so stark wie Racine, Corneille und Moliere auf die poetischen Gemüter Deutschlands, wie Descartes auf die philosophischen Geister: so muß- ten die Kupferwerke der französischen Architekten auf alle baukünstlerisch empfindenden Leute in Deutschland wirken. Die vorzüglich zum Ausdruck architektonischer Dinge befähigte französische Sprache verlieh den Lehren des neuen Geschmacks doppelten Nachdruck. Daher wurden de Cotte und seine Genossen die Lehrmeister der jungen deutschen Fürsten und ihrer Baumeister.
Die Architektur wurde wie am französischen Hofe so auch an den deut- schen Fürstenhöfen ein Teil der Erziehung der Prinzen. Als Balthasar Neu- mann nach Paris reiste, berichtet er seinem Herrn, dem Würzburger Fürst- bischof, wie der Bischof von Speier und der Bischof von Straßburg, Rohan, in dem vorgelegten Würzburger Schloßplan mit dem Zirkel die Höhen und Weiten der Zimmer abmessen. Die Bautätigkeit des Fürsten galt gewisser- maßen als Gradmesser seiner politischen Macht. Sie gehört zum Thema der Gesandtenberichte, der fürstlichen Briefe und der Konversation. Keiner un- ter den deutschen Fürsten hat die Baukunst mit feinerem Geiste und liebe- voller umfaßt als Friedrich der Große. Selbst aus dem ersten Schlesischen Feldzug bittet er Knobelsdorff dringlich um genaue Beschreibungen und Zeichnungen seiner Neubauten am Charlottenburger Schlosse und zwar um jedes Kapitell mit allen Einzelheiten.
Angesichts der hier gekennzeichneten umfassenden Stellung der Baukunst in der Kultur des i8. Jahrhunderts wird die hohe Bedeutung verständlich, die den großen fürstlichen Baumeistern zukam. Sie leiteten nicht nur das Bau- und Gartenwesen in seinem ganzen Umfang, sondern, wie schon dargetan die großen Freuden- und Trauerfeste, die Feuerwerke und selbst die Opern. Durch Verleihung höherer Militärchargen ^vurden sie den adeligen Ständen gleichgesetzt. Umgekehrt ist die Betätigung von Adeligen, wie des Ritter von Grünstein in Mainz, des Knobelsdorff und Gontard in der Architektur ein Beleg für die hohe Achtung, deren sich diese erfreute. Neben diesen Män- nern sind die Generale von Welsch in Mainz, Neumann in Würzburg und Schlaun in Münster sowie der Münchner Oberbaudirektor Effner und der nassau-saarbrückensche Oberbaudirektor Stengel aus der Reihe der vielseiti- gen Bauintendanten hervorzuheben.
Zu diesen Verhältnissen kommen noch einige Umstände hinzu, die man sich gegenwärtig halten muß, wenn man die Grundzüge der deutschen Ba- rockarchitektur voll und ganz erkennen will.
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Abb. 25. Rathausturm zu Bamberg, Mitte 18. Jahrhunderts
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Abb. 26. Amalienburg in Nymphenburg, von Cuvillies, um 1725
6. DIE BAUMEISTER, DIE BAUHERREN UND DER BAUBETRIEB. STADTBAUKUNST
Die verschiedensten Strömungen kamen zusammen, um im letzten Drittel des 17. Jahrhunderts den großen und allgemeinen Aufschwung der Bau- kunst in Deutschland zu bewirken. In den österreichischen und bayerischen Landen hatten sich seit Ferdinands III. und des Kurfürsten Maximilian Zeiten in immer wachsender Menge italienische Baumeister, Steinarbeiter, Maurer, Stukkaturen und Quadratoren niedergelassen. Sie stammten meist aus den oberitalienischen Landschaften am anderen Fuß der Alpen, vom Comersee und aus der Lombardei. Namentlich der Kirchen- und Klosterbau wurde ihre Domäne. Doch gewannen sie auch im Schloßbau eine beherrschende Stellung. Noch um die Wende zum 18. Jahrhundert wirkten eine ganze Reihe italieni- scher Baumeister, die freilich meist schon seit einer oder zwei Generationen angesessenen Familien entsprossen, in den süddeutschen Residenzen: in Wien Burnacini und Martinelli, der Schöpfer der beiden Liechtensteinschen Paläste, in Würzburg Petrini, der Erbauer der Stiftshaugkirche, des Juliushospitals und des Schlosses Seehof, in Baden-Baden Rossi, um nur einige wenige vor- wegzunehmen. Fruchtbare Stukkatoren waren die Carlone in Österreich und Bayern, und Simonetti, der in Berlin und Magdeburg wirkte. Die ganze erste Hälfte des Jahrhunderts blieb namentlich der Theaterbau und die Bühnende- koration in den Händen der Italiener, vorzüglich der Familie Galli aus Bi- biena bei Bologna, deren umfassende Tätigkeit als Festdekoratoren berührt worden ist. In ihren Schloßfassaden verraten die meisten dieser um 1 700 tätigen Oberitaliener die Schulung an den strengen Formen der Nachfolger Palladios.
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Zur gleichen Zeit hatten in Norddeutschland die niederländischen Baumei- ster aus der Schule des Kampen und des Pieter Post Fuß gefaßt. Nehring, Smids, Rütger von Langesfeld und Ryckwarts sind einige der wichtigsten Namen. Wie durch die italienischen Bauhandwerker der Steinschnitt, die Stuck- und Mörteltechnik, so wurde durch die holländischen der Ziegelbau neubegründet. Mit der Wende zum i8. Jahrhundert dringen daneben in grö- ßerer Zahl Franzosen ein. Die ältere strengere Schule vertreten die dem Hu- genottenkreise angehörenden Baumeister La Chieze in Berlin und Dieussart, der einiges in Mecklenburg und das alte Schloß in Bayreuth baute, Du Ry in Kassel, Cayart, der Erbauer der Langen Brücke und der Französischen Kirche in Berlin, ebendort de Bodt, der Schöpfer des Berliner Zeughauses und der Festungstore in Wesel, der nachher in Dresden wirkte und Augusts III. Leh- rer in der Architektur wurde. Ferner in Berlin La Gajette und in Dresden Longuelune. Am Rhein wirken d'Hauberat, der für das Schloß in Mannheim Entwürfe lieferte und in Frankfurt das schöne Palais Thurn und Taxis er- baute; in Darmstadt de la Fosse, der Erbauer des nur teilweise ausgeführten landgräflichen Schlosses. Späterhin folgen St. Pierre in Bayreuth, der Schöp- fer des dortigen Schlosses und der Fassade des Opernhauses, in Bonn Le- veilly, Baumeister des Michaeltores und des Rathauses; in Berlin Legeay, der die Hedwigskirche entwarf; in Stuttgart de la Guepiere. Der Hauptmeister des Münchner Rokokos ist der aus den belgischen Niederlanden stammende, in Paris gebildete Cuvillies. In der späteren Hälfte des Jahrhunderts hat die Einwanderung französischer Baumeister keineswegs nachgelassen. Man denke auch an die heimisch gewordenen Hugenottenfamilien der Du Ry in Kassel und der Gilly in Berlin.
Also auch auf dem Gebiete der Baukunst zunächst eine starke Überfrem- dung Deutschlands in diesem Jahrhundert! Nun wird allerdings die Bau- kunst, die von außen hereinkommt, von den Kräften des Bodens, auf dem sie ihre Werke errichtet, schon an sich beeinflußt. Die fremden Meister werden durch den Baugrund, durch das Material und das Klima und die Gewohnhei- ten der neuen Heimat sich anzupassen gezwungen. In den deutschen Bau- und Handwerksmeistern, die zur Ausführung mit herangezogen wurden, war auch keineswegs das alte Können durch den Dreißigjährigen Krieg hindurch völlig erstorben. Mancherlei Bauten, die bald darnach entstanden, zeugen von dem fortwirkenden Handwerk und einem gesunden, wenn auch derben künstlerischen Sinn. So sei an die Baumeisterfamilie Richter in Weimar er- innert, die im Schloß-, Landhaus- und steinernen Brückenbau Beachtenswer- tes schuf; namentlich an den protestantischen Kirchenbau, den in Frankfurt der Stadtbaumeister Heßler, in Hamburg Corvinus und in Braunschweig
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Korb vertreten. Ihr Schaffen ist teilweise eine Fortsetzung der vor dem Kriege durch die Wolfenbütteler und Bückeburger Kirchen eingeschlagenen selbständigen Bahn des evangelischen Kirchenbaues. Das Nachleben goti- scher Gewölbe- und Fensterformen bezeugt insbesondere die Entwicklung dieses Zweiges aus dem Schöße des städtischen Bauhandwerks. Ähnlich ha- ben einige von den Jesuiten mit Hilfe der heimischen Handwerker erbauten nordwestdeutschen Kirchen Nachklänge gotischer Formengebung. In Ober- bayern hatte sich längst neben den Italienern eine Schule angesessener Bau- meister, Maurer und Stukkatoren ausgebildet, die mit den Renaissance- und Barockformen wohl umzugehen verstand. Ihr Hauptsitz war die Gegend von Wessobrunn. Eine ganze Reihe oberbayerischer Landkirchen zeigt, daß auch die Raumgedanken der Renaissance, die die Münchener Michaelskirche zuerst ausgesprochen hatte, den Baumeistern des Landes in Fleisch und Blut über- gegangen waren. An keiner anderen Stätte ist die Verschmelzung der ita- lienischen modernen Bauweise mit den heimischen Kräften, so wie die unun- terbrochene Fortführung aus der Renaissance in den Barock hinein deutlicher ausgesprochen als in Salzburg. Die erzbischöfliche Residenz und der Dom sind dafür bedeutsame Zeugen. Das ganze Gepräge dieser Stadt mit ihren weißgetünchten, gerade abschließenden Häusern mutet überhaupt schon halb- italienisch an. Die deutsche Kunstfertigkeit scheint sich namentlich noch auf dem Gebiete des Zimmerhandwerks ihren alten Ruf in kunstvollen Holz- verbindungen bewahrt zu haben. Aus dem Zimmererhandwerk wachsen Korb in Braunschweig, Bahr in Dresden und andere Meister hervor. Über- haupt ist es beachtenswert, wie viele der nun auftretenden deutschen Bau- meister dem Bauhandwerker- und Stukkatorengewerbe entstammen. Daß in der Möbelkunst und in den übrigen Zweigen der Raumausstattung die deut- sche Kunst in noch höherem Maße aus eigenem den Weg ins 1 8. Jahrhun- dert fand, sei hier schon kurz angedeutet.
Die deutschen zünftigen Handwerker konnten nicht ruhig zusehen, wie die von den Fürsten und der Kirche geförderten fremden Künstler ihnen das Brot wegnahmen. Überall erheben sich Beschwerden dagegen. Bewegtesten Ausdruck hat ihnen Fischer von Erlachs Freund, Johann Wagner, 1691 gege- ben in dem ,,Ehrenruff Teutschlands, der Teutschen und ihres Reichs". War doch gerade in der Kaiserstadt die Stellung der deutschen Bauleute fast schon ein Jahrhundert daher von den Italienern beeinträchtigt worden. Aber mit Klagen war nichts getan, denn die Ausländer hatten die siegreiche Macht der neuen Barockideen auf ihrer Seite. Mit Stolz und Zuversicht zu dem un- verwüstlichen Genius unseres Volkes müssen wir nun blicken auf die Reihe großer Männer, die sich an der Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert erhoben
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und die fremden Formen und Gedanken mit dem Pulsschlag des eigenen Blutes erfüllten. Es sind zunächst Johann Dientzenhofer, Bernhard Fischer von Erlach, Lukas von Hildebrand, Andreas Schlüter und Pöppelmann. Diese haben durch erneute Studien in Italien den Geist der barocken Architektur erst eigentlich vollständig in Deutschland heimisch gemacht. Sie und eine Anzahl trefflicher Meister haben den deutschen Barock aus den Fesseln der älteren italienischen, holländischen und französischen Richtung befreit und mit warmem Leben erfüllt. Auf ihren Schultern steht die zweite Generation großer Baukünstler, zu denen Cuvillies, Neumann, Schlaun, Thomann und Knobelsdorff gehören. In dieser Generation erreicht der deutsche Raumsinn den Höhepunkt. Auf der anderen Seite ist die Einwirkung der französischen Baukunst in der Grundriß- und Aufrißlösung und im Ornament durchgedrun- gen. Neben dem unmittelbaren Eingreifen der Franzosen, das uns im hellsten Lichte die Bautätigkeit des Kölner Kurfürsten Joseph Clemens vor Augen bringt, hat das Studium dieser zweiten Architektengeneration in Paris die Aufnahme der französischen Formen beschleunigt. Effner, Cuvillies, Neu- mann, Knobelsdorff und viele andere haben Paris besucht. Endlich gewannen die musterhaften Kupferwerke der Pariser Schule, die Schriften Blondels, des Courdemoy, des Briseux und des Boffrand den größten Einfluß in den deutschen Baubüros. Auch in Deutschland erschienen theoretische Werke und Kupferpublikationen. Goldmann, ein Schlesier, später Professor in Lei- den, und sein Schüler Sturm, Professor in Frankfurt an der Oder, behandel- ten die mathematischen, statischen und praktischen Fragen. Paul Decker, der in Berlin unter Schlüter gearbeitet, verbreitete durch seinen ,, fürstlichen Bau- meister" den prunkenden Barockgeschmack der Schlüterschen Richtung. Ähnlich wirkte Schübler durch seine Kupferwerke, während Kleiner in Mainz die Bauten und Gartenschöpfungen der Schönborn in Wien, in Fran- ken und in Mainz bekannt machte. Seine in Augsburg gestochenen Kupfer brachten namentlich die von Hildebrand und seinen Schülern geschaffenen Bauten und Innenräume der Schönbornschen Schlösser in weitere Kreise. Im großen und ganzen betätigt sich in all diesen Büchern mehr das Gefallen an malerischen Wirkungen und an schmückendem Zierat. Niemals wird man sie mit den bis heute ihre Weltgeltung behauptenden Lehrbüchern der Pariser Baumeister in einem Atem nennen dürfen. Auf dem Gebiete des Ornamentes fehlen uns die genialen Zeichner, wie sie Frankreich in Marot, Berain, Meis- sonier usw. besaß. Die Kupferwerke dieser Meister wurden von den Augs- burger Kupferstechern für den Gebrauch des heimischen Handwerks aus- genutzt.
Wirft man einen Blick auf die Entstehung der großen Bauwerke, der Kir-
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chen und Schlösser, so trifft man hier auf Vorgänge, die unserer Vorstellung vom künstlerischen Schaffen befremdend erscheinen. Der Wille des Bauherrn bestimmt den ersten Plan und beherrscht bis zuletzt die Ausführung. Bauten, die der Fürst auf seinen Reisen gesehen, wünscht er nachgeahmt. Nun wird eine Sammlung von Kupferwerken zusammengebracht, und auf Grund dieser Vorlagen muß der Architekt, dem Wunsche des Bauherrn gemäß, seine Pläne entwerfen. Nicht selten werden auch von anderen Architekten Entwürfe ein- gefordert. Es kommt sogar vor, daß die Gedanken aus den fremden Entwür- fen einfach mitverarbeitet werden, ohne die Erfinder weiter zu Rate zu zie- hen. Dann werden ferner die fertigen Pläne anderen Architekten vorgelegt, die darin Korrekturen vornehmen. Ein hervorragendes Beispiel dafür ist die Geschichte des Würzburger Schlosses. Neumann mußte nach Paris, um seine Schloßpläne von de Cotte und Boffrand prüfen zu lassen. Die beiden Franzo- sen strichen den rechten Flügel des Treppenhauses und nahmen andere Ver- änderungen vor. Später hat der Fürstbischof Friedrich Carl von Schönborn noch den Hausarchitekten der Familie, Lucas von Hildebrand, in Wien zu Rate gezogen. Bei dem Schloß in Pommersfelden, dem unmittelbaren Vor- läufer des Würzburger Schlosses, scheinen nacheinander drei verschiedene Baumeister hinzugezogen zu sein : Johann Dientzenhofer, dem die Flügel, Maximilian von Welsch, dem das Corps de Logis, und Lucas von Hildebrand, dem wahrscheinlich eine starke Beteiligung an der inneren Austattung zuzu- schreiben ist. Welche Schwierigkeiten aus diesem Zusammenwirken ver- schiedener Baumeister an ein und demselben Bau entstehen mußten, läßt sich denken. Für die Baugeschichte erwächst daraus eine Kette kaum oder gar nicht zu lösender Fragen. Nun kommt noch ein Punkt hinzu : die Arbeitstei- lung. Der große Baumeister war natürlich viel zu sehr beschäftigt, um seine Entwürfe alle selbst auszuzeichnen, geschweige denn auszuführen. Soll doch ein Mann wie Knobelsdorff, der allerdings von Hause aus nur Liebhaber war, überhaupt keine geometrischen Risse gezeichnet haben, sondern nur male- rische Perspektiven! In Krüger hatte er sich einen Schüler herangebildet, der seine Ideen erst in die mathematische Sprache der Architektur umsetzte. Nun erst die Ausführung. Auch sie lag sehr oft in der Hand eines anderen, mehr praktisch geschulten Baumeisters. Endlich wurden die Verzierungen, der Schmuck der Gesimse, der Giebel und Kapitelle von Bildhauern meist ganz selbständig nur nach den allgemeinen Maß- und Linienandeutungen des Bau- künstlers ausgeführt. Diese Bildhauer sind schöpferische Künstler, im Besitze eigener Einfälle und Formen. Sie greifen zuweilen geradezu bestimmend in das Ganze der Komposition ein, wie etwa Tietz in Bamberg, Würzburg und Trier, und Feill in Trier, am Erbdrostenhof und am Schloß in Münster. Na-
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mentlich in der Innenaustattung wurde dem Können und der Phantasie der Bildhauer vielfach freie Hand gelassen. So wurden die süddeutschen Stukka- turen zu den Bauten am Main, im Kölnischen und im Westfälischen herange-~ zogen. Die Gemächer Friedrichs des Großen in den Knobelsdorffschen Bau- ten verdanken ihre Ausstattung den Bildhauern Nahl und Hoppenhaupt.
Aus all dem Gesagten leuchtet ein, wie schwierig oft die Feststellung der persönlichen Leistung des einzelnen fallen muß. Es herrscht in den großen Bauunternehmungen ein Zusammenwirken vieler Kräfte, wie in der goti- schen Epoche. Aber eben dieses Zusammenwirken kennzeichnet das gesunde Denken des 1 8. Jahrhunderts auf dem Gebiete der Baukunst. Alle Künstler und Handwerker ordnen sich dem Willen des Bauherrn und des Baumeisters unter. Es ist ein einziges Orchester, in dem alle Instrumente, jedes seine Par- titur verfolgend, beseligt dahinschreiten. Aber das Zusammenspiel liegt in der Hand der großen Baumeister. Es wäre verfehlt, wollte man nun zugun- sten der Gemeinsamkeitsarbeit die Leistung der schöpferischen Genies völlig ausschalten. Alle Bauten Knobelsdorffs, so verschiedene Baumeister und Bild- hauer an ihnen mitgewirkt, tragen den Stempel seines Geistes und den des großen Königs bis in jede Einzelheit hinein. Jeder Raum von Balthasar Neu- manns Meisterhand umfängt unser Gemüt in gleicher Weise. Immer weht um die aus der Wand befreiten schlanken Säulen, in den freischwebenden ,, kunstverdruckten Gewölbern, so außer Circul gehen" der gleiche Atem, und dieser belebt auch die über die Wände und Gesimse aufsteigenden Stuck- schnörkel.
Hier legt sich uns das baukünstlerische Schaffen des Jahrhunderts an sei- ner Wurzel bloß. Das Gefühl für Verhältnisse, für Maße durchwaltet die großen Linien wie alles einzelne. Die Größe des Bauwerkes zu den Nachbar- gebäuden, zu dem Vorplatz, zum Garten und zur Straße, die Abstimmung des Denkmals und des Brunnens in die Räumlichkeit des Platzes hinein sowie die Abmessung und die Schmückung der Innenräume : Alles steht in glücklicher Maßbeziehung zueinander.
Das sind die Früchte der strengen mathematischen Erziehung, die die Ar- chitektur seit der Renaissance in Italien und in höherem Grade noch seit dem 17. Jahrhundert in Frankreich durchgemacht hat.
Diese zur Mathematik gewordene raumgestaltende Kraft des Barock hat zunächst in der Stadtbaukunst des 17. und 18. Jahrhunderts in Deutsch- land ihren Niederschlag gefunden. Die ältesten, von Franzosen oder franzö- sisch geschulten Baumeistern abgesteckten Stadtgrundrisse halten eine mög- lichst schachbrettartige Teilung in rechteckige Bauquartiere ein. Die Häuser werden durchgängig niedrig und langgestreckt gebildet, jedoch werden die
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Ecken, die Plätze und die Enden der Straßen durch mehrstöckige Gebäude betont. Die Oberstadt Kassel, vom ältesten Du Ry, die französische Kolonie in Schwedt, die von Friedrich Wilhelm I. ausgebauten neuen Viertel Berlins und Potsdams, Gumbinnen, ferner Mannheim und Erlangen sind dafür Bei- spieles). Mit dem fortschreitenden Barock wuchs die Kunst der Gruppierung um große Hauptachsen und weite Plätze von bewegterer Grundrißgestaltung. Man erkennt das an der Anlage Karlsruhes um den runden, von Laubengän- gen eingerahmten Schloßplatz, an dem Domplatz in Fulda, an dem Schloß- platz in Würzburg, an den drei Platzgründungen, wodurch Friedrich Wil- helm I. seine Erweiterung Berlins nach Westen bekrönte. Sie sind das ,, Quarre", der heutige Pariser Platz, das ,,Oktogon", der heutige Leipziger Platz, und das ,, Rondell", der heutige Belle-Aliance-Platz. Die in einem Zuge fortgehende, von Palästen flankierte Wilhelmstraße stellte dazwischen die Verbindung her. Meisterwerke der ausgereiften Stadtbaukunst sind das Ron- dell vor dem Schloß in Nymphenburg mit der abzweigenden Mittelprome- nade, die den Ausgangspunkt einer nicht weiter geführten neuen Stadt bilden sollten. Der großzügige Raumsinn des deutschen Rokoko offenbart sich z. B. in der Anlage des ,, Forum Friedericianum" mit dem Opernhaus und dem Palais des Prinzen Heinrich, der jetzigen Universität, in Berlin; ferner in dem run- den Königsplatz und dem weiten, ehemals durch das Autor begrenzten recht- eckigen Friedrichsplatz sowie in der abgerissenen halbkreisförmigen Kolon- nade an der Rennbahn in Kassel (Abb. 30), sämtlich nach der Mitte des Jahr- hunderts vom jüngeren Du Ry geschaffen. Ihnen reihen sich an die etwa gleichzeitig entstandenen Werke Gontards in Berlin, wie seine Brückenkolon- naden und der Ausbau des Gendarmenmarktes, ferner der wundervolle, von Alleen eingefaßte Schloßplatz in Münster und der aus einem Rondell und einem weiten Rechteck gebildete Platz zwischen dem Schloß und der Kirche in Ludwigslust, entstanden unter Zugrundelegung Legeaischer Pläne.
Nach dieser allgemeinen Einführung in das baukünstlerische Schaffen des Jahrhunderts gehen wir dazu über, den Verlauf der Baugeschichte von den Anfängen des Barock bis zum Höhepunkt in der Mitte des Jahrhunderts dar- zustellen. Füglich geschieht dies am besten, indem die beiden wichtigsten Gebäudegattungen der Zeit, der Kirchenbau und der Schloßbau, nacheinander betrachtet werden. Es ist selbstverständlich, daß beide, so sehr die Grundlagen und Einwirkungen voneinander abweichen, in den Grund- zügen der Entwicklung gleichen Schritt halten.
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Abb. 31- Kanzel in Bogenhausen von Günther Mitte i8. Jahrhunderts
DAS GEISTIGE WESEN DES KATHOLIZISMUS IM DEUTSCHEN BAROCK UND ROKOKO
Zum Verständnis der katholischen Kirchenkunst des deutschen Barock ist es unumgänglich, sich ein Bild von dem Wesen des katholischen Lebens in dieser Epoche zu machen. Nach dem Dreißigjährigen Kriege hatten der Ka- tholizismus und ebenso der Protestantismus eine innere Erneuerung erfahren. Die Neubelebung des religiösen Empfindens in dem Barockzeitalter hat Ranke folgendermaßen gekennzeichnet: „In den früheren Zeiten war das Christentum mehr Sache der Überlieferung, der naiven Annahme, des von Zweifeln unberührten Glaubens gewesen. Jetzt war es eine Sache der Über-
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Abb. 32. Altar von Auwera in der Würzburger Augustinerkirche
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Zeugung, der bewußten Hingebung geworden. Von hoher Bedeutung ist es, daß man zwischen den beiden Bekenntnissen zu wählen hatte, daß man ver- werfen, abfallen, übertreten konnte. Die Person ward in Anspruch genom- men, ihre freie Selbstbestimmung herausgefordert. Hierdurch geschah es, daß die christlichen Ideen alles Leben und Denken nur noch vollständiger durchdrangen." Der Katholizismus war durch die Arbeiten des Trienter Kon- zils und der Gegenreformation mit neuer Stoßkraft erfüllt worden. Die Ein- heitlichkeit und die Ordnung der Liturgie waren wiederhergestellt worden. Der Begriff der Heiligung durch die Kirche, die Verehrung des Leibes und Blutes Christi hatten sich vertieft. Eine straffe Organisation trat an Stelle der gelockerten Kirchenzucht. Der eingreifenden Tätigkeit der deutschen Kir- chenfürsten wurde bereits gedacht. Ihre Arbeit erfuhr die kräftigste Unter- stützung durch die Orden. Allen voran durch die Jesuiten. Dem Orden des hl. Ignatius von Loyola war in erster Linie die Befestigung des katholischen Glaubens in den schon schwankend gewordenen südlichen und westlichen Gauen Deutschlands zu verdanken. Meisterhaft verstanden es die Väter Jesu, gerade das einfache, in den Kriegszeiten verwahrloste Volk durch Predigt, Gottesdienst und leichtverständliche Katechese zurückzugewinnen. Das Kol- legium Germanicum und das Kollegium Romanicum in Rom wurden Pflanz- schulen für deutsche Prediger, Seelsorger und Gelehrte. Überall entstanden nun Kollegien und Gymnasien, die das humanistische Studium zur Grundlage hatten und den berühmten protestantischen Lateinschulen nachzustreben suchten. Die Jesuiten faßten auch Fuß an den katholischen Universitäten, in Ingolstadt, in Wien, in Köln und Würzburg usw. Sie verlangten von den akademischen Lehrern die Ablegung der Confessio fidei. Ihr Einfluß war bis über die Mitte des 1 8. Jahrhunderts in ständigem Steigen, das beweisen auch die prachtvollen Jesuitenkirchen in Schlesien, in Mannheim, in Heidelberg, in Büren und in Würzburg. Sie vermochten Leibniz und den Prinzen Eugen an der Gründung einer Akademie der Wissenschaften in Wien zu verhindern. Ihre Bekehrungen in der Pfalz erregten noch den Unwillen des Kronprinzen Friedrich im Polnischen Erbfolgekrieg. Nach der Eroberung Schlesiens sucht er sie zu gewinnen, indem er u. a. einer ihrer berühmten Wallfahrts- Madon- nen ein neues Seidenkleid schenkt. Mit den Jesuiten wetteiferten in der Seel- sorge, in der Erziehung und der Armenpflege eine Reihe weiterer reorganisier- ter oder neubegründeter Orden, die Serviten (Franziskaner), die Dominika- ner, die Augustiner, die Observanten, die Kamaldulenser, die Karmeliter, die barmherzigen Brüder vom hl. Johannes de Deo. Ihnen zur Seite gehen die Frauenorden, die durch einige von Frankreich herkommende Neugründungen Zuwachs erhalten, durch die Salesianerinnen, die nach dem hl. Franz von Sa-
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les genannt werden, die Kongregation der hl. Therese, die Vinzentinerinnen, vom hl. Vinzenz gegründet, die lotharingischen Chorjungfern, die die Erzie- hung adeliger Mädchen übernahmen. Strenge Unterwerfung unter die Re- geln, hingebende Frömmigkeit, und tätige Arbeit am Wohl der Nächsten, be- sonders der Ärmsten, sind das Kennzeichen des wiederhergestellten Ordens- lebens.
Mit der Neuformung des Gottesdienstes wandelte sich die Kirchenausstat- tung. Mit dem Drang nach tieferer Erfassung des Glaubens ging die Be- seelung des künstlerischen Ausdrucks Hand in Hand. Die Verehrung zum Herzen Jesu spricht sich in der feierlichen Aufstellung des Allerheiligsten aus. Die strahlende vergoldete Riesenmonstranz, die die Hostie umschließt, steht nun auf dem Hochaltar unter einem triumphbogenartigen Säulenbalda- chin, der von heiligen Heerscharen bevölkert ist. Das Auge der Andächtigen folgt dem beseligt aufwärts gerichteten Blick der Heiligen zu den Gewölben, wo die himmlischen Heerscharen im lichten Äther schweben. Es ist der alte Glaube, aber erfüllt mit neuer Hingebung, mit Siegeszuversicht. Es sind die alten Klänge und Geheimnisse, aber in volleren Akkorden ertönend. So wie die römische Kirchenmusik des Barock in ihren Oratorien die alten Weisen des Dies irae. Dies lila, des Stabat Mater Dolorosa, des Salve Regina und des Te Deum in reicheren Harmonien erbrausen läßt. In den Schall der Orgel mischt sich der Jubel der Geigen, der Posaunen und der Pauken. Nach dem römischen Muster entstehen die trefflichen Domkapellen der deutschen Bi- schofssitze, die eine Hauptquelle für die Entfaltung der Musik in den katho- lischen Ländern Süd- und Westdeutschlands werden 4).
Die Heiligenverehrung erfüllt sich mit neuer Inbrunst. In den Kreis der Bekenner und Märtyrer der Kirche treten Männer und Frauen aus der jüng- sten Kampfperiode des Glaubens, so der hl. Ignatius und Franz Xaver, der Missionar Ostindiens, beide erst von Gregor XV. heilig gesprochen, Karl Borromäus, Franz von Paul, Johannes Nepomuk. Das tausendjährige Jubi- läum vieler Domstifter und Benediktinerabteien veranlaßt die Auffrischung des Gedächtnisses an die ersten Begründer und Bekehrer. Ihr Leben wird er- forscht, ihre Taten werden dargestellt. Die süddeutschen Deckengemälde schildern mit Vorliebe Ereignisse aus der Gründungs- und Wundergeschichte der Kirchen, die sie schmücken. Über dem Grab des Frankenapostels Kilian in Würzburg und über dem Grabe des hl. Bonifatius in Fulda wachsen präch- tige Kirchen empor. Die Statuen der ältesten Bischöfe umstehen das Grab des Bonifatius hinter dem Chor des Fuldaer Domes: die ersten Bischöfe von Würzburg stehen auf der Mainbrücke, die von der Stadt hinüberführt zum Fuß des Marienbergs, der die älteste Kirchengründung St. Kilians trägt. Da-
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durch wird das alte Verhältnis des Volkes zu den Heiligen des Landes er- neuert; die Liebe zum Stifte und zur Heimat bekräftigt. Scharen von Heili- gen bevölkern nicht nur das Äußere und Innere der Kirchen. Sie werden auf- gestellt auf Plätzen und Märkten, auf Brücken und Toren, an den Häuser- fronten, auf Wegen und Stegen. Kruzifixe, Passions- und Schmerzensgrup- pen und Kapellen werden an Kreuzwegen, in Wiesen und auf Höhen er- richtet. Sie sind noch heute die Merkmale der katholischen Landschaften. An ausgezeichneten Punkten entstehen Passionswege mit den zwölf Leidens- stationen. Einen solchen schuf Bischof Bernhard von Galen in der Heide vor Münster an der Prozessionsstraße nach Telgte. Bei Fulda ziehen sich vom Franziskanerberg die Stationskapellen über den waldigen Bergrücken zum Kalvarienberg hinauf. Da oben steht unter alten Bäumen die in Stein ge- hauene Kreuzigung in lebensgroßen Figuren auf einer Plattform, deren Balu- strade von sechs Engeln mit den Marterwerkzeugen bekrönt ist : Maria, Jo- hannes und zwei Engel blicken schmerzvoll zum Gekreuzigten empor. Die hochgewundenen verzerrten Schacher sind auf den Seiten, und am Fuß des Kreuzes das Totengerippe in einer Felsengrotte. Den Gläubigen umweht ein Schauer an dieser dunkeln Waldesstätte. Der Kreuzweg zum Würzburger Käppele auf der anderen Mainseite steigt in Absätzen den steilen Berg hinan; jede dieser Plattformen ist von drei Kapellen mit den lebensgroßen Leidens- stationen von Wagners und von Auweras Hand unter vier alten Platanen be- setzt. Bis obenhin ist die Stiege zwischen Mauern eingeschlossen, so daß sich erst von der Höhe vor dem Käppele der überraschende Blick in das Maintal und die unten gelagerte Stadt eröffnet.
Zahlreiche Wallfahrtskirchen werden prächtig erneuert — wie Andechs und Ettal — und neue gebaut. Die Perle darunter ist Vierzehnheiligen, Bal- thasar Neumanns Schöpfung. Sie ist an einer Stelle errichtet, wo vor Jahr- hunderten einem armen Hirten die vierzehn Nothelfer erschienen waren. Mit bewegten Umrissen steigt der Bau auf einer kahlen Bergkuppe, dem Näher- kommenden aus dem Gebüsch und Gestrüpp herauswachsend, gegen den Himmel. Von den Höhen des Main- und Donautals, von den Bergen um die oberbayerischen Seen grüßen zahlreiche andere herab. Der Wunder- und Re- liquienglaube hat sich neu belebt. Aus Rom bringen die weltlichen und geist- lichen Fürsten neu entdeckte Märtyrergebeine als Geschenke des Papstes ins Land. Sie werden in reich bestickte und betreßte Seiden- und Goldgewän- der gehüllt, in kunstvollen gläsernen Gehäusen in die Predellen der Altäre eingesetzt; oder auch in reich getriebene silberne Reliquienschreine gebettet. Daß die Pontifikal- und Meßgewänder mit schwerer Seiden-, Gold- und Per- lenstickerei geschmückt werden, ist selbstverständlich?).
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Abb 34. Grabmal des Fürstbischofs von Ingelheim (f 1695) im Dom zu Mainz
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Abb. 35. Grabmal des Dompropstes von der Leyen (t 1714). im Dom zu Mainz
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Höchst merkwürdig und für das künstlerische Leben von tiefgehender Be- deutung ist die innige Verschmelzung der religiösen und der weltlichen An- gelegenheiten, die für den Barock in den katholischen Ländern bezeichnend ist. Sie ist der Grundstein für die wahrhaft volkstümliche Kunst der Kirche in diesen Gebieten. Und hier scheinen sich die Gegensätze zwischen den fürstlichen und adeligen Ständen und dem dritten und vierten Stand zu ver- söhnen. Die aristokratische Grundtendenz des deutschen 1 8. Jahrhunderts offenbart sich darin in ihrer glücklichsten Gestalt. Mitten unter dem andäch- tigen Volk thronen die in Stein verewigten geistlichen Fürsten auf ihren Grabmälern in den Domkirchen (Abb. 34 u. 35). Wie lebend knien sie dort im vollen Schmuck des Pontifikalornates vor dem Kruzifix beim festlichen Hoch- amt, oder sie sind hingelagert auf ein reich befranstes Pfühl, den perücken- umrahmten Kopf milde und hoheitsvoll dem Beschauer zuwendend. Die Spit- zen des Chorhemdes, des Kragens, die Stickereien der Kasula und der Hand- schuhe sind voller Sorgfalt in dem Marmor verewigt. So majestätisch und nicht anders wollte das Volk seine Landesherren sehen. Es erblickte in ihnen den Vater aller, den Beistand der Armen und Unterdrückten. Ein Altarbild, das Sandrart für S. Walburg in Eichstätt malte, stellte mit des Künstlers eigenen Worten dar: ,,den Fürstbischof auf einer Galerie im bischöflichen Ornat und Pontifikal von allen dero und des Hochstifts Kapitelherren um- geben ganz andächtig gen Himmel fahrend als gleichsam flehentlich ansu- chend um Hilfe für eine große Menge armer, blinder, lahmer, kranker und bresthafter Leute." Die Vereinigung des geistlichen und weltlichen Regi- mentes in den Reichsstiftern hat die Durchdringung geistlicher und weltlicher Dinge am stärksten ausgeprägt. Die großen Klosterbauten sind zugleich riesige Residenzen, Güterverwaltungen und Wirtschaftsanlagen. In den Ak- tenschränken der geistlichen Herren an Rhein, Mosel und Main liegen neben den geistlichen die Domänen-, Forst-, Militär-, Jagd-, Weinbau-, Kellerei- und anderen Sachen. ,, Unter dem Krummstab ist's gut leben" hieß es in diesen gesegneten Gauen. Die Lichtseiten dürfen allerdings nicht über die Schatten- seiten der geistlichen Herrschaften hinwegtäuschen; gerade sie haben der staatlichen Ohnmacht Deutschlands und zuzeiten selbst den entwürdigenden militärischen und politischen Eingriffen der Fremden Vorschub geleistet. Als die preußischen Husaren über den Thüringer Wald in die Mainbistümer drangen, vermochten ihnen die zusammengewürfelten und schlecht ausgebil- deten Kreistruppen der Bistümer keinen nennenswerten Widerstand zu lei- sten, und bei Roßbach zerstoben ihre Kontingente mit den Franzosen vor der Seydlitzschen Kavallerie.
In vieler Hinsicht hat das katholische Glaubensleben im Zeitalter des Ba-
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rock eine Verjüngung und Vertiefung erfahren. Der gewaltige Aufschwung der kirchlichen Kunst ist dafür der sinnliche Ausdruck. Es entzieht sich un- serem Urteil, wie sich in dem Barock das Verhältnis zum Göttlichen in seinen Tiefen gewandelt hat. Aber das ist mit Händen zu greifen: es ist ein grund- verschiedener Seelenzustand gegenüber dem, der in der mittelalterlichen Kirche wirksam war. Dieses unbedingte Zusammenwachsen der geistigen und sinnlichen Kräfte, des Religiösen und des Weltlichen, das die Epoche des romanischen und frühgotischen Stils bezeichnet, war im Barockzeitalter un- möglich. So fehlt denn auch der kirchlichen Kunst des Barock und Rokoko die zwingende Vereinigung des religiösen Geistes mit der strengen hierati- schen Form. Niemals kommen uns vor dem mittelalterlichen Kirchenkunst- werk Zweifel an der selbstentäußernden tiefgläubigen Empfindung des Be- stellers und des Künstlers. Die kirchliche Kunst des Barock bewegt sich häufig an der Grenze, wo die Frage entsteht : ist das nun echte Rührung oder Empfindelei? Mischt sich in die seelische Hingebung nicht allzusehr das sinn- liche Gefallen an der schönen Form? Täuscht uns der Künstler durch den schimmernden Schein über die fehlende Gemütskraft hinweg? So ganz eigen- tümliche Schwärmereien, wie die Magdalenenkapelle im Bonner Schloßpark mit ihrer Gesellschaft von Blumengärtnern, eine Institution des Kurfürsten Joseph Clemens, wie die ruinenartige, halb gotische Magdalenenklause des greisen Max Emanuel, seines Bruders, im Nymphenburger Schloßpark und die der Markgräfin Susanna im Park der Favorite erregen allerdings den Ver- dacht einer Spielerei mit Glaubensgefühlen. Die Markgräfin kasteite und gei- ßelte sich hier in dem gelben Dämmerlicht in Gesellschaft von heiligen Wachs- figuren mit natürlichen Haaren und Gewändern. Mit der heiligen Familie aus bekleideten Puppen setzt sie sich zu Tische. In einem Franziskanergewand läßt sich die ,, große Sünderin" in der von ihr erbauten, mit Stuckmarmor und Stickerei reichgeschmückten Schloßkapelle in Rastatt beisetzen. Allein was schon anläßlich der barocken Mummenschänze gesagt wurde, gilt auch in die- sem Falle. Es gibt einen Punkt, wo der Geschichtsschreiber die innersten Triebe einer Zeit vergeblich zu durchschauen sucht. Was also in der kirch- lichen Bewegung des katholischen Barock Hingebung, wahre Inbrunst, was Verzückung, was Selbstberauschung und mit dem Sinnlichen liebäugelnde Verzärtelung des Gefühls darstellt, bleibe auf sich beruhen. Tatsache ist der gewaltige Aufschwung des religiösen Sinnes und zusammen mit ihm der kirchlichen Kunst, in erster Linie der Baukunst.
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Abb. 36. Karlskirche in Wien, von Bernh. Fischer von Erlach, 1716 — 1725
8. DER KATHOLISCHE KIRCHENBAU DES BAROCK
Die Geschichte der deutschen Kirchenbaukunst zerfällt in zwei große Haupt- abschnitte. Der erste, der des mittelalterlichen Stils, beginnt mit der romanischen Kunst seit der karolingischen Epoche. Er läuft in den spätgoti- schen Stil aus, der durch das i5. und teilweise selbst bis tief ins 17. Jahrhun- dert hinein nachlebt. Der zweite Hauptabschnitt erstreckt seine Anfänge bis in die Spätrenaissance, bis ins ausgehende 16. Jahrhundert hinein. Schritt vor Schritt, und durch die schweren Kriegszeiten in seinem Laufe mannig- fach gehemmt, erobert er, den letzten gotischen Stil verdrängend, ja stellen- weise sich mit ihm vermengend, im 17. Jahrhundert den katholischen Kir- chenbau Deutschlands. Seine große Zeit beginnt im letzten Drittel des
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17- Jahrhunderts, als zugleich mit dem Aufschwung des religiösen Lebens die kirchlichen Kreise eine allgemeine Baulust ergriff. Dieser zweite Ab- schnitt der deutschen Kirchenbaukunst ist der Gegenstand unserer Betrachtung. Mit ihm beginnt ganz unleugbar eine neue Epoche, die sich in ihrem ganzen Wesen von der mittelalterlichen unterscheidet. Allein, während der romanische Stil im lo. und ii. Jahrhundert eine eigentümliche Verkörperung des monumentalen Empfindens unseres Volkes ist, seinem gan- zen Gehalt und Ausdruck nach eine unmittelbare jugendfrische Erfassung architektonischer Grundgedanken : knüpft die neuzeitliche deutsche Kirchen- baukunst an eine fremde eben ausreifende Entwicklung an. Ihr Ausgangs- punkt ist die weiträumige Kirchenbaukunst der Spätrenaissance und des Ba- rock in Italien.
Indessen, wenn nun auch die Formen der Grundrisse und des Aufbaues ab- geleitete sind, so bedeutet dennoch auch dieser neue Stil für die deutsche Kunst wieder einen Anfang. Es ist nämlich eine völlig von der mittelalter- lichen Entwicklung abweichende Gestaltungsform, die mit dem italienischen Kirchenbau Eingang findet. An die Stelle des gebundenen Organismus der gotischen Kirchenform, des einheitlichen Gleichgewichtssystems, setzt sich der klare, von geschlossenen Wänden begrenzte Raum. Die Gliederung der Wände durch die der Antike nachgebildeten Träger und Gesimse gibt den Wänden eine Selbständigkeit gegenüber dem Raum und der Decke, die dem gotischen Kirchenbau gänzlich fremd war. Auch die Fassaden erhalten eine Vorlage aus Säulenordnungen und wagerechten Gesimsen.
Die Aufnahme des italienischen Kirchenbaustils war in Österreich und in Bayern bereits vor und während des Dreißigjährigen Krieges erfolgt, als im Westen und Norden Deutschlands sich noch die Gotik behauptete. Das erste Zeugnis, die von Herzog Wilhelm V. von Bayern am Ende des i6. Jahrhun- derts errichtete Jesuitenkirche St. Michael in München, ein einziger großar- tiger tonnenüberwölbter Raum, fand vielfache Nachahmung in den Landkir- chen zwischen Inn und .Salzach. Ihr schließen sich auch die von Hans Krum- per erbauten Kirchen in Weilheim usw. an. Mitten im Dreißigjährigen Kriege entstehen die vom Pfalzgrafen Wolfgang Wilhelm von Pfalz-Neu- burg errichteten hallenartigen Jesuitenkirchen in Neuburg an der Donau und in Düsseldorf'^). Zeigt sich in all den genannten Bauten eine Abwandlung der italienischen Grundformen zugunsten heimischer Gewohnheiten, so ist der gleichfalls noch in der ersten Hälfte des Dreißigjährigen Krieges begonnene Dom in Salzburg das erste Denkmal eines im reifen italienischen Geschmack durchgeführten Gebäudes. Ein weites tonnenüberwölbtes Langhaus mit Ka- pellennischen wird von einem gleichbreiten Querschiff durchschnitten und
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Abb. 37. Dom in Salzburg, begonnen von Solari 16 14, vollendet nach Mittel 7. Jhh.
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mündet in einem gerundeten Chor. Über der Durchschneidung von Langhaus und Querhaus, über der Vierung, erhebt sich eine hohe Kuppel. Erst nach dem Dreißigjährigen Kriege wird der Bau beendet. Jetzt treten — teilweise durch italienische Architekten und Maurer ausgeführt — an vielen Orten Süddeutschlands Werke des neuen Stils ans Licht. In Wien bezeichnen die von Tenkala entworfene Dominikanerkirche und die von einem Mitgliede der Carlone unter Benutzung einer gotischen Anlage erbaute Kirche der Neun Engelchöre am Hof Marksteine der ersten Stufe des Barock. Aus den fünf- ziger und sechziger Jahren stammen die Kirche des Benediktinerklosters Lambach zwischen Linz und Salzburg, die von Michael Behr aus Vorarlberg entworfene und von Serro ausgeführte Stiftskirche in Kempten in Südschwa- ben mit dreischiffigem Langhaus in Verbindung mit einem achteckigen Zen- tralbau; ferner die drei Karmeliterkirchen in München (schräg gegenüber der Dreifaltigkeitskirche), in Regensburg und in Würzburg, die letztere, auch Reuererkirche, 1662 — i66g von Petrini. Auch die späteren Werke Petrinis, die hochgelegene Stephanskirche in Bamberg, 1677 — 1680, und sein Haupt- werk, die große Kirche des Stiftes Haug in Würzburg mit achteckiger Kup- pel, schließen sich dieser ersten Gruppe barocker Kirchen an, denen endlich aus Westfalen die noch schlichteren Bauten der Franziskanerkirche in Pa- derborn und der Ägidiikirche in Münster zurechnen. Die Mehrzahl dieser Kirchen sind einschiffig mit Kapellennischen, seltener dreischiffig. Die Ge- wölbe sind teils noch kreuzförmig zwischen breiten Gurten oder tonnenartig. Das gemeinsame künstlerische Merkmal ist die äußerste Strenge der Gliede- rung. Sowohl die meist gedoppelten Pilaster an den Wänden im Innern und an den Fassaden im Äußeren, als auch die Gesimse zeigen harte schmucklose Profile. In der Bildung dieser Glieder wirkt die strenge klassische Richtung der Renaissance fort. An den Fassaden macht sich ebenfalls die für die Re- naissance bezeichnende Vorblendung der Pilasterordnung und Gesimse gel- tend (Dom in Salzburg [Abb. 37], Karmeliter in Regensburg, Neun Engel- chöre in Wien, St. Stephan in Bamberg, Observanten in Münster). Die Kapitelle sind durchgehends schwer und glatt und die Gebälke ausladend. Der Grundzug dieser frühbarocken Kirchen ist der einer nüchternen Klarheit und fast gewaltsamen Strenge. Sie teilen diese Eigenschaften, wie hier vor- wegzunehmen ist, mit den gleichzeitigen Schloßbauten. In dieser unbedingten architektonischen Haltung, unter Vermeidung überflüssigen Zierats, stellen sich die Schöpfungen des Frühbarock von rund 1650 — 1690 scharf den bis über den Dreißigjährigen Krieg hinaus nachwirkenden spielerischen Spät- renaissanceformen gegenüber. Neben den zweigeschossigen, mit Dreiecks- giebel und Seitenvoluten bekrönten Fassaden nach dem Vorbild des Gesü
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Abb. 38. Theatinerkirche in München, von Barelli, 1663 — 1674
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mündet in einem gerundeten Chor. Über der Durchschneidung von Langhaus und Querhaus, über der Vierung, erhebt sich eine hohe Kuppel. Erst nach dem Dreißigjährigen Kriege wird der Bau beendet. Jetzt treten — teilweise durch italienische Architekten und Maurer ausgeführt — an vielen Orten Süddeutschlands Werke des neuen Stils ans Licht. In Wien bezeichnen die von Tenkala entworfene Dominikanerkirche und die von einem Mitgliede der Carlone unter Benutzung einer gotischen Anlage erbaute Kirche der Neun Engelchöre am Hof Marksteine der ersten Stufe des Barock. Aus den fünf- ziger und sechziger Jahren stammen die Kirche des Benediktinerklosters Lambach zwischen Linz und Salzburg, die von Michael Behr aus Vorarlberg entworfene und von Serro ausgeführte Stiftskirche in Kempten in Südschwa- ben mit dreischiffigem Langhaus in Verbindung mit einem achteckigen Zen- tralbau; femer die drei Karmeliterkirchen in München (schräg gegenüber der Dreifaltigkeitskirche), in Regensburg und in Würzburg, die letztere, auch Reuererkirche, 1662 — 1669 von Petrini. Auch die späteren Werke Petrinis, die hochgelegene Stephanskirche in Bamberg, 1677 — 1680, und sein Haupt- werk, die große Kirche des Stiftes Haug in Würzburg mit achteckiger Kup- pel, schließen sich dieser ersten Gruppe barocker Kirchen an, denen endlich aus Westfalen die noch schlichteren Bauten der Franziskanerkirche in Pa- derborn und der Ägidiikirche in Münster zurechnen. Die Mehrzahl dieser Kirchen sind einschiffig mit Kapellennischen, seltener dreischiffig. Die Ge- wölbe sind teils noch kreuzförmig zwischen breiten Gurten oder tonnenartig. Das gemeinsame künstlerische Merkmal ist die äußerste Strenge der Gliede- rung. Sowohl die meist gedoppelten Pilaster an den Wänden im Innern und an den Fassaden im Äußeren, als auch die Gesimse zeigen harte schmucklose Profile. In der Bildung dieser Glieder wirkt die strenge klassische Richtung der Renaissance fort. An den Fassaden macht sich ebenfalls die für die Re- naissance bezeichnende Vorblendung der Pilasterordnung und Gesimse gel- tend (Dom in Salzburg [Abb. 37], Karmeliter in Regensburg, Neun Engel- chöre in Wien, St. Stephan in Bamberg, Observanten in Münster). Die Kapitelle sind durchgehends schwer und glatt und die Gebälke ausladend. Der Grundzug dieser frühbarocken Kirchen ist der einer nüchternen Klarheit und fast gewaltsamen Strenge. Sie teilen diese Eigenschaften, wie hier vor- wegzunehmen ist, mit den gleichzeitigen Schloßbauten. In dieser unbedingten architektonischen Haltung, unter Vermeidung überflüssigen Zierats, stellen sich die Schöpfungen des Frühbarock von rund 1650 — 1690 scharf den bis über den Dreißigjährigen Krieg hinaus nachwirkenden spielerischen Spät- renaissanceformen gegenüber. Neben den zweigeschossigen, mit Dreiecks- giebel und Seitenvoluten bekrönten Fassaden nach dem Vorbild des Gesü
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Abb. 38. Theatinerkirche in München, von Barelli, 1663 — 1674
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sind mehr deutsch empfundene schmale Fassaden gebräuchlich, mit zwei Pi- lastern dreigeteilt, oder von zwei Viereckstürmen flankiert; letztere in Kemp- ten, am Stift Haug, an der Wallfahrtskirche auf dem Schönenberg bei Ell- wangen. Aber nicht nur die langrechteckige Kirchenform der italienischen Renaissance, auch der Zentralbau hat, w^enngleich nur vereinzelt, Eingang gefunden (Wallfahrtskirche in Telgte vom älteren Pictorius, Dreifaltigkeits- kirche in Kappel von Leonhard Dientzenhofer, Mariahilfkirche in Freystatt von Viscardi). Überaus lehrreich ist ein Vergleich dieser ersten Stufe des deutschen katholischen Kirchenbarock mit der gleichzeitigen protestantischen Kirchenbaukunst im Norden Deutschlands. Doch davon später.
Neben der Gruppe schlichterer und provinziellerer Kirchenbauten entste- hen jetzt zwei großartige und reicher ausgestattete Kirchenbauten in der Hauptstadt München und in der Bischofsresidenz Passau, die beide von Ita- lienern ausgeführt, in der Tat die italienischen Barockgedanken in lebendi- gerer Gestalt auf deutschem Boden verkörpern. Sie stellen also eine Fortset- zung des mit dem Dom zu Salzburg begonnenen Weges dar. Die in München in den Jahren von 1663 — 1674 von Agostino Barelli aus Bologna für den Kurfürsten Ferdinand Maria und seine Gemahlin Henriette Adelaide von Savoyen nach dem Muster derTheatiner-Mutterkirche in Rom erbaute Thea- tinerkirche St. Cajetan zeigt eine dem Dom in Salzburg verwandte Grundan- lage (Abb. 38). Nur geht die Wirkung des hohen Raumes und der Kuppel über den noch renaissancemäßigen Salzburger Dom weit hinaus. Die mäch- tigen doppelten korinthischen Halbsäulen, zwischen den tiefen, mit Durch- gängen versehenen Kapellen, die wuchtigen Gesimse und die reiche Gliede- rung und Stuckverzierung der Tonnengewölbe machen den Eindruck größe- rer Fülle und Bewegung. Diesen vermittelt noch weit stärker der Dom in Passau (Abb. 39). Er ist nach 1662 von Lurago im Anschluß an eine mittel- alterliche Basilika im Barockstil ausgebaut worden und hat seine jetzige Ge- stalt nach einem Brande von 1680 durch I. B. Carlone erhalten. Die Drei- schiffigkeit ist aus dem romanischen Bau übernommen worden; die Neben- Schiffjoche wurden mit Flachkuppeln überdeckt. Sie wirken im Gesamtbilde kaum noch mit. Beherrschend und von gewaltiger Wirkung ist der hohe und Vi/eite, von mächtigen korinthischen Pilastern flankierte und mit streng ge- gliederten Kuppelgewölben überdeckte Raum des Mittelschiffs. In feier- lichem Schritt leitet er zu dem kuppelüberwölbten Querschiff, hinter dem sich die weite Rundung des Chores majestätisch öffnet. Nicht nur der Raum, auch die Ausschmückung wird von einem so großen einheitlichen Zuge be- seelt, wie er uns in den bisher genannten Kirchen nicht entfernt begegnet ist. Zum erstenmal tritt hier ein Kennzeichen des reifen Barock in Erscheinung,.
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Abb. 39. Dom in Passau, von I. F. Carlone nach 1680 dekoriert
Schmitz, iS.Jahrh. 6 8l
das uns in den Kirchen und in den Prachtsälen der reifen Barockarchitektur immer wieder begegnet : die überreiche Ornamentik entwickelt sich erst in dem oberen Teil des Gebäudes, an den Kapitellen, den Arkadenzwickeln, an den Gesimsen und in gedrängter Fülle an den Quergurten und Füllungen der ;, Tonnengewölbe. Die überschüssige Kraft sammelt sich nach oben hin: ein wichtiges treibendes Moment in dem Barock. Ein verwandtes Beispiel aus der Schloßarchitektur ist der gleichzeitige große Prachtsaal im Palais des Dresdener Neuen Gartens. Es ist zu beachten, daß die plastische Stuckorna- mentik dieser Barockräume des späteren 17. Jahrhunderts bei aller Üppigkeit sich der schweren Pilaster- und Gesimsgliederung ein- und unterordnet. Als ein schönes Zeugnis dafür kann die um 1700 von Christian Tumb erbaute Stiftskirche Höfen bei Friedrichshafen (jetzt Privatbesitz des württembergi- schen Königshauses) gelten. Am Ausgang des Jahrhunderts hatten die ein- heimischen Stukkatoren, namentlich die Schule von Wessobrunn in Ober- bayem, das schwere krause Akanthusornament des älteren Louisquatorze in ihren Stil umgebildet. Sie haben zahlreiche Kirchen und Klöster Oberbayerns und Südschwabens stuckiert, und neben den Carlone und anderen Italienern eine ehrenvolle Stellung errungen.
Mit der Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert beginnen die strengen und rauhen Formen des älteren Barock sich mit größerer Wärme und stärkerem Ausdruck zu erfüllen. Es tritt eine neue Generation von Kirchenbaumeistern auf den Plan, in der nun offenbar den deutschen Künstlern die führende Stel- lung zugefallen ist. Als die hervorragendsten Meister sind Johann Dientzen- hofer in Bamberg und Bernhard Fischer von Erlach und Lucas von Hilde- brand in Wien anzusehen. Für diese, wie für die Anfänge des reifen Ba- rock auch in der deutschen Schloßarchitektur, ist zu beachten, daß die füh- renden Baumeister nur teilweise an die in Deutschland heimisch gewordene ältere Barockschule anknüpfen. Von entscheidendem Gewicht ist das unmit- telbare Studium dieses neuen Geschlechtes in Italien, sei es in Rom selbst oder in den oberitalienischen Mittelpunkten der barocken Baukunst. Mit der selbständigen Erfassung der barocken Baugedanken an ihren Quellen ver- bindet sich die wachgewordene umbildende eigene Formenempfindung. Auf die erste klärende und vorbereitende Epoche des Barock in Deutschland folgt nun die zweite, die Zeit der Reife. Man vergleiche einen Bau der älteren Schule, wie die Jesuitenkirche St. Martin in Bamberg von Leonhard Dient- zenhofer, mit dem Dom in Fulda, einer Schöpfung des Johann Dientzenhofer! Kurz nach seiner Rückkehr aus Rom hat der Meister im Jahre 1704 den Bau unter dem Fürstabt Adalbert von Schleif ras begonnen: im Jahre 17 12 wurde der Bau vollendet (Abb. 40). An die Stelle der nüchternen Derbheit des Mei-
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Abb. 40. Dom in Fulda, von Joh. Dientzenhofer, 1704 — 1712
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sters der älteren Schule, wie sie der breite einschiffige, von Kapellennischen begleitete Raum St. Martins zeigt, ist in Fulda eine sichere Abstimmung des Grundrisses und des Aufbaues getreten. Das kurze tonnenüberwölbte Mittel- schiff steht in abgewogenem Verhältnis zu dem breiten kurzen Querschiff, zu dem Kuppelraum über der Vierung, zu dem gerundeten Chor und auch zu den kuppelüberwölbten Nebenschiffen und vorderen Kapellen. Die Fähigkeit harmonischer Raumgestaltung nach den Grundsätzen der Italiener, die Jo- hann Dientzenhofer offenbart, ist doppelt anzuerkennen, da die Maße des Baues, an römischen Verhältnissen bemessen, beschränkt sind. Die maßstäb- liche Übertragung räumlicher Gedanken in kleinere Dimensionen, ohne den monumentalen Grundcharakter zu beeinträchtigen, setzt gewiß ein reifes bau- künstlerisches Können voraus. Auch der figürliche und ornamentale Schmuck zeigt im Vergleich mit den Dekorationen etwa der Wessobrunner Stukkato- ren einen Zug monumentaler plastischer Auffassung. Er beschränkt sich auf große freiplastische Figuren, die in Nischen zwischen den Pfeilern und im Zylinder der Kuppel aufgestellt sind. Die doppelgeschossige zweitürmige Fassade (Abb. 41) unterscheidet sich durch die Verkröpf ung der Gesimse, durch die vorgezogene Mitte und die organische Durchdringung der Glieder scharf von den vorgeblendeten strengen Pilasterstellungen der älteren deut- schen Kirchenfronten (vgl. wieder St. Martin in Bamberg). Erst jetzt sind die deutschen Meister in die Kompositionsgedanken des italienischen Barock völlig eingedrungen; erst jetzt begreifen sie deren Wesen, das in der Ver- schmelzung aller Einzelglieder zu einem auf- und abschwellenden Ganzen be- ruht. Mehr noch als die Fuldaer Domfassade zeigen das der Entwurf Zuc- calis zur Münchner Theatinerkirche und die flach einwärts geschweifte Fas- sade der Neumünsterstiftskirche in Würzburg von Greising (oder Pezzani). Deren Inneres mit dem hohen achteckigen Westchor ist eine Fortent- wicklung über Petrinis Stifthaugkirche. Johann Dientzenhofer hat sich in seinem späteren Hauptwerk, der um 17 18 erbauten Klosterkirche in Banz bei Bamberg, von der noch gebundenen und basilikalen Fuldaer Grundform losgelöst. Der einschiffige, kurze, mit fliachrunden Kapellen versehene Raum erhält durch die Schrägstellung der Pfeiler und durch die Verschneidung der im Grundriß elliptischen Gewölbe, wie durch die Schweifung der Emporen einen einheitlichen Zug. Der Drang nach Freiräumigkeit ersetzte die durch Gurten getrennten Kreuzgewölbe und schmalen Tonnen allgemein durch Kuppeln. Die im übrigen altertümliche Martinskirche in Bamberg ist dafür eines der frühesten Beispiele. In voller Reife erscheint die Kuppelwöl- bung in der großartigen Klosterkirche von Weingarten zwischen Ulm und Friedrichshafen, die um 1720 von Frisoni erbaut wurde. Auch der Zentral-
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Abb. 41. Dom in Fulda, von Job. Dientzenhofer, 1704 — 1712
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bau hat den Aufschwung mitgemacht, wie z. B. die Dreifaltigkeitskirche in München von Viscardi dartut, deren korinthische Säulenstellungen noch den Zusammenhang mit dem älteren Barock verraten.
Die zentralen Raumgedanken haben inzwischen die großartigste Gestal- tung erfahren in den Kirchenbauten Bernhard Fischer von Erlachs in Wien. Auch er hat, wie Dientzenhofer, in Rom studiert. Er kommt aus dem Kreise Carlo Fontanas. Seine Bauten knüpfen in gleichem Grade wie die des Dient- zenhofer an die strenge, nur fortgeschrittenere klassische Richtung des römi- schen Barock an, während die Strömung des Borronini mehr in Einzelheiten eingewirkt hat. Als Raumschöpfer aber läßt Fischer den Dientzenhofer weit hinter sich zurück. Fischer von Erlach und Schlüter stehen da, fast unver- mittelt emporkommend, als die beiden größten deutschen Genien am Eingang des 1 8. Jahrhunderts. Gleich eines der frühesten Hauptwerke Fischers, die mächtige Kollegiatskirche in Salzburg, überrascht durch den machtvollen, fast zentralen Kirchenraum auf kreuzförmiger Grundlage mit vier freistehen- den Pfeilern. Ebenbürtig ist die im Halbrund herausgebuchtete Fassade mit dreitoriger Vorhalle und ovalen Fenstern darüber, von zwei schweren kurzen Türmen flankiert (Abb. 42). Man muß nur die strenge Pilasterverblendung des nahen Domes und dessen Inneres vergleichen, um zu erkennen, welcher große zusammenfassende Zug dem reifen deutschen Barock gegenüber dem frühen eigen ist. Fischer krönt sein Lebenswerk im Kirchenbau mit der noch gewaltigeren Raumschöpfung der Karlskirche in Wien, die im Auftrag Kai- ser Karls VI. von 1716 — 1725 erbaut wurde (Abb. 36). In dem Wettbewerb trug er den Sieg über Ferdinando Galli Bibiena davon. Die Karlskirche stellt die höchste Fortbildung des Zentralbaugedankens mit ovalem Mittelraum dar, die in Rom im 17. Jahrhundert entwickelt worden war. An den ovalen Mittelraum setzen sich vier tonnengewölbte kurze Kreuzflügel und dazwi- schen niedrige ovale Kapellen, die sich mit einer Arkade und Empore nach dem Mittelraum öffnen. Als Schöpfung des reifen Barock gestaltet die Karlskirche den ovalen Mittelraum im Vergleich zu den Nebenräumen und Kapellen zu beherrschender Höhe und Weite aus. Der Gläubige wird in den dunkleren Kapellen und Nebenräumen vorbereitet auf den von oben belichteten hochsteigenden Kuppelraum. Der Blick wird überrascht und emporgerissen zur Kuppel, wo die himmlischen Heerscharen schweben. Die Durchblicke steigern diese Wirkung. Und doch ein durch und durch architektonisch be- handeltes Gefüge mit strenger Pilastergliederung und sparsamem plasti- schem Schmuck. Das Äußere zeigt eine sechssäulige Tempelvorhalle korin- thischer Ordnung mit zwei freistehenden Trajanssäulen davor; diese antike Baugruppe bildet den Vordergrund zu dem von zwei stumpfen Türmen be-
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Abb. 42. Kollegiatskirche in Salzburg, von Bernh. Fischer von Erlach, um 1700
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Abb. 43. Jesuitenkirche in Grüßau, vollendet um 1740
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gleiteten Kuppelbau. Die Vermutung, daß Fischer Eindrücke aus Rom wie- dergibt — d. h. den Anblick antiker Gebäude im Zusammenwirken mit dem St. Peter und anderen Kuppelkirchen — hat große Wahrscheinlichkeit für sich. Jedenfalls äußert sich hier wie in Fischers phantastischem Kupfer- -werke „Entwurf einer historischen Architektur" die Neigung des deutschen Barock für die alte römische Herrlichkeit. Aber zu gleicher Zeit doch auch die souveräne Umsetzung, die der Barock den römischen Formen zuteil wer- den ließ, die uns schon anläßlich der heroischen Fürstenbildnisse beschäftigt hat. Zwei weitere bedeutsame Zentralbauten der Wiener Schule dieser Epoche sind die Peterskirche dicht beim Graben mit späterer Fassade von Altomonte und die ähnliche Salesianerinnenkirche links vom Belvedere.
Der Langhausbau der österreichischen Barockschule in der Zeit Karls VI. bleibt hinter dem Zentralbau in der Steigerung der Freiräumigkeit nicht zu- rück. Aus der kaum übersehbaren Fülle stattlicher Kloster-, Wallfahrts- und Pfarrkirchen, die nach dem Spanischen Erbfolgekrieg bis ans Ende der drei- J5iger Jahre in Wien und Österreich entstanden, ragen die Werke Jakob Pran- dauers hervor, so die Klosterkirchen von Melk und Dürnstein. Ähnlich wie Dientzenhofers Klosterkirche in Banz haben diese einschiffigen, breiten, von Kapellen begleiteten Räume durch flache Schweifung der Wände und Empo- ren ein bewegteres einheitlicheres Raumbild gewonnen. Man schreitet zu immer weiteren Kuppelspannungen fort. Ein Glanzstück ist die weite Mittel- kuppel in Herzogenburg. Nach Tirol, nach Böhmen, Mähren, Schlesien und Ungarn breitet sich der Wiener Kirchenstil aus. Zu seinen Ablegern gehören die großen Klosterkirchen Leubus und Grüßau und die Johanneskirche in Liegnitz. Die weiten Kuppelgewölbe werden mit Fresken geschmückt — auch für die Deckenmalerei ist Wien in dieser Zeit der Mittelpunkt des deut- schen Südostens. Säulenreiche Altarbauten füllen die Chöre und Kapellen. Stuckverzierungen, Bemalung und Vergoldung steigern die Wirkung zu einem einheitlichen farbigen Eindruck. Allein die reinen und großen Archi- tekturschöpfungen Fischer von Erlachs und Prandauers bilden überragende Gipfel in einer großen Menge von Werken, die in der prunkenden Ausstat- tung ihre Stärke suchen. Besonders viele böhmische und schlesische Kirchen- bauten des Barock vertreten diesen schwerfälligen und derben Durchschnitt. Im einzelnen, in der Gesimsbehandlung des Inneren und des Äußeren, strei- fen sie zuweilen ans Barbarische, namentlich dort, wo das slawische Volks- tum mitwirkt. Man würde den wahrhaft schöpferischen und gedankenklaren Leistungen der führenden Meister unrecht tun, wollte man sich durch die zeitgemäße Barockbegeisterung dazu verleiten lassen, nun all diesen in so un- glaublicher Fruchtbarkeit entstandenen Kirchenbauten einen monumentalen
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Charakter beizumessen. Vieles ist eben nur Volkskunst, freilich gute und den malerischen Sinn erfreuende Volkskunst.
Wie mächtig jetzt Deutschland von der barocken Raumempfiindung ergrif- fen wird, bezeugen die im ersten Drittel des Jahrhunderts überall erfolgenden Umwandlungen des Inneren der mittelalterlichen Kirchen. Namentlich die ehrwürdigen romanischen Dome und Benediktinerkirchen mußten zum tau- sendjährigen Jubiläum der Stifte neue Gewänder anlegen. Hier tritt nun der Gegensatz zwischen der Raumbildung des mittelalterlichen Stils und dem des Barock in willkommener Weise zutage. Der strenge und ernste Rhythmus, die Gebundenheit der Gewölbekonstruktion und die enge Pfeilerstellung der romanischen Basiliken mußten dem Barock unerträglich sein. In den älteren Neuausstattungen um 1700, die uns etwa die Dome von Passau, von Würz- burg und Hildesheim veranschaulichen, bleibt unter der Stuckverkleidung noch die Raumgliederung des romanischen Stils in einzelne Abschnitte zu spüren. Alsbald setzt man aber an die Stelle der flachen Kassettendecke und der Kreuzgewölbe ein einziges flaches Spiegelgewölbe, das nur ein oder zwei langovale Bildfelder erhält. Die langgezogenen geschweiften Stuckumrah- mungen ziehen unbekümmert um die Stützenstellung der Arkaden dahin. Selbstverständlich wird jetzt das Gewölbe stets durch vorgelegte Pilaster ge- tragen, wodurch die Vereinheitlichung des Raumes gesteigert wird. Die Er- weiterung der Fenster in den Oberwänden des Mittelschiffs, häufig bis in die Stichkappen des Gewölbes, leitet einen einheitlichen Lichtstrom von oben hinein. Die glänzendsten Virtuosen in solcher Neueinkleidung waren der Maler Kosmas Damian Asam und sein Bruder, der Stuckierer Egid Quirin Asam in München. Sie wachsen aus der Dekoratorenschule von Wessobrunn hervor. Ihre Hauptschöpfungen der genannten Art, der Dom in Freising und St. Emmeram in Regensburg, sind erstaunliche Zeugnisse raumbildender Kunst. Das Zusammenwirken des Malers und Stuckierers kommt in erster Linie auch der einheitlichen und zarten Farbenwirkung zugute. Die Heilig- geistkirche in München veranschaulicht die Umwandlung einer spätgotischen Hallenkirche durch die Meister. Die Rundsäulen werden zu schlanken Pfei- lern mit Pilastervorlagen und erhalten aufgelockerte korinthische Kapitelle. Auf ihnen sitzen hohe, lebhaft profilierte Kämpferstücke mit weit ausladen- den Gesimsen als Träger der schmal ansetzenden, dann spiegelartig verflach- ten, bemalten und stuckierten Gewölbe. Die Gebundenheit des gotischen Ge- wölbsystems, die Zerschneidung der Gewölbe durch die Stern- und Netzfigu- ren der Spätgotik wird damit aufgehoben. Unter den Neuschöpfungen der Gebrüder Asam bezeichnet die von ihnen selbst errichtete Johannes Nepomuk- kirche in München 1733, ein langovaler Raum, und die runde Kirche zu Wel-
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Abb. 44. Johanniskirche in München, von den Gebrüdern Asam, um 1730. Fassade
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Abb. 45. Johanniskirche in München, von den Gebrüdern Asam, um 1730. Chor
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tenburg die letzte Steigerung des malerischen und plastischen Ausdrucks im barocken'Kirchenraum (Abb. 44 u. 45). Durch plastische Figuren und Bauteile und durch halb oder ganz verdeckte Lichtquellen gewinnt die Beleuchtung dieser Räume einen märchenhaften Zauber. Die Häufung aller Glieder, die Schweifung der Gesimse und der Wände und namentlich die Verdeckung von Gewölbansätzen und Raumanschlüssen wirken mit der starken Vergoldung und Farbengebung zusammen, diesen Räumen einen völlig malerischen Cha- rakter zu geben. Die letzten Werke der Asam gehören schon fast ganz dem frühen Rokoko an.
Die Fassaden und Türme der Kirchen im ersten Jahrhundertdrittel haben den hier gezeichneten Entwicklungsgang vom Strengen zum plastisch Be- wegten begleitet, wenn auch in gemäßigter Weise. Die Schweifung der Fas- saden und das stärkere Vorspringen der Säulen, Pilaster und Gesimse gegen- über der flachen und in einer Ebene bleibenden Front des früheren Barock bezeichnen die Fassaden von Banz, von Weingarten, von Melk und zahl- reiche, in den dreißiger Jahren entstandene Fassaden in Österreich und in Schlesien. Eine der spätesten, um 1740 vollendeten Schöpfungen ist die zweitürmige Fassade der Kirche in Grüßau in Schlesien, über deren schweren Reichtum sich Friedrich der Große während des Siebenjährigen Krieges seinem Vorleser Katte gegenüber ausspricht (Abb. 43). Es scheint, als wenn Lukas von Hildebrand, Fischer von Erlachs großer Wiener Zeitge- nosse, zur Ausbildung des so bezeichnenden zweitürmigen schmalen Fassa- dentyps der österreichischen Barockkirchen beigetragen hat. Hand in Hand mit der zunehmenden Schwingung der Fronten und der Verkröpfung der Glieder geht die stetig wachsende Schweifung, Einschnürung und Schwel- lung der beiden Turmaufsätze. Auch hierfür bieten die österreichischen Kir- chen die reichste Fülle von Lösungen. Eine Schiffahrt donauabwärts von Linz nach Wien führt uns ununterbrochen an gelb- und weißgetünchten Klo- ster- und Pfarrkirchen vorüber, deren lustig geschwungene Turmhauben ge- radezu ein Abzeichen des alten glücklichen Österreichs sind.
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9. DER KATHOLISCHE KIRCHENBAU DES ROKOKO
In der einführenden Übersicht über die hauptsächlichsten Stilepochen der deutschen Kunst des 1 8. Jahrhunderts wurde darauf hingewiesen, daß eine Grenze zwischen dem Barock und dem nachfolgenden Rokoko schwer zu zie- hen ist. Das Rokoko ist vielmehr, wie angedeutet wurde, eine Weiterentwick- lung der in dem Barock wirkenden Kräfte. Das gilt in ganz besonderem Maße von dem Kirchenbau. Die Mehrzahl der Kirchenbaumeister des Roko- kozeitalters — mit anderen Worten des Zeitraums von rund 1735 bis um 1765 — gehört mit ihren Frühwerken noch zum Barock. In der Bildung und Gliederung des Raumes, d. h. in den Grundrissen, in dem Aufbau und der Wölbungsform schließen sie sich unmittelbar an die Meister der ersten Ge- neration des 18. Jahrhunderts an. Es ist auch schwer festzulegen, in wel- chem Zeitpunkt eine entscheidende Änderung in diesen wichtigsten Bezie-
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Abb. 46. Hochaltar in der Kirche in Diessen am Ammersee, um 1730
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Abb. 47. Kirche von Vierzehnheiligen, von Balthasar Neumann Mitte 18. Jahrhunderts
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Abb. 48. Vierzehnheiligen, von Balthasar Neumann, Mitte 18. Jahrhunderts
hungen eintritt. Wie eingangs gesagt, ist das äußere Merkmal des Rokoko- stils das von Frankreich übernommene Rokokoornament, die Rocaille, der Schnörkel, und nach deren ungefährem Auftreten in Deutschland wird der Beginn des neuen Stils datiert. Es leuchtet aber ohne weiteres ein, daß eine von so starken raumbildenden Faktoren getragene Entwicklung wie die des deutschen Kirchenbaues dieser Zeit, nur in untergeordnetem Grade durch ein neues Ornament bestimmt werden kann.
Die fruchtbarste Schule des Barockzeitalters, die österreichische, ist auf dem fortgeschrittenen Standpunkt, den sie in der Spätzeit Karls VI. erreicht hatte, im wesentlichen während des Rokoko geblieben. Die große Zahl der
Schmitz, 18. Jahrh. 7
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Abb. 49. Kirche in Berg am Laim, von Joh. Michael Fischer, Mitte 18. Jahrhunderts 98
Wiener Vorstadtkirchen, die unter Maria Theresia erba,ut wurden, gehen in dem weiträumigen, von Kapellennischen begleiteten Innenraum und in dem mit zwei Zwiebelhauben bekrönten Äußeren über die in dem Barock geschaf- fenen Grundzüge nicht eigentlich hinaus. Die Meister Altomonte und Johann Gerl und der Tiroler Kirchenbaumeister Gumpp stellen den Ausklang der großen Zeit Fischer von Erlachs, Hildebrands und Prandauers dar.
Anders ist es in Bayern, im katholischen Schwaben und am Main. In die- sen Gauen beginnt erst jetzt, mit den dreißiger Jahren, die Glanzepoche des Kirchenbaues. Hier ist unzweifelhaft das endgültige Ergebnis eine Umgestal- tung des Barock, eine Durchdringung der Barockgedanken mit neuem seeli- schen und formalen Ausdruck. Drei große Meister haben dem süddeutschen Kirchenbau der neuen Generation Gestalt gegeben: der Franke Balthasar Neumann in Würzburg, ein dem Schlüter und Fischer von Erlach an Genie gleichkommender Künstler, sowie die Bayern Dominikus Zimmermann von Landshut und Johann Michael Fischer in München.
Balthasar Neumann knüpft an die von Johann Dientzenhofer in Franken ausgebildete Kirchenbauweise an. Seine früheren Schöpfungen, die 1727 für die Grafen Schönborn erbaute Kirche zu Wiesentheid, die von ihm nur voll- endete dreischiffige Klosterkirche in Schönthal und namentlich die nur im Modell erhaltene dreischiffige basilikale Abteikirche von Münsterschwarzach bewahren noch die regelmäßigen Grundriß-, Pfeiler- und Kuppelformen des Barock. Der in diesen Bauten entwickelte Raumsinn gelangt zur Keife in dem Jahrzehnt von 1740 — 1750. Die Würzburger Schloßkapelle und die Kir- chen von Vierzehnheiligen (Abb. 47) und von Neresheim/) (Abb. 51) verdan- ken diesem Jahrzehnt ihre Entstehung. Die Grundrisse der rechteckigen Bau- ten setzen sich aus lauter Ovalen zusammen. An ein weites Mitteloval schlie- ßen sich bald quer, bald längs gelagerte kleinere Ovale an. Aber dem Auge erscheint durch die Verschneidung der auf freistehenden, äußerst schlanken Säulen und Säulenpaaren ruhenden Gurten und Gewölbekappen der Raum als eine Einheit. Eine Einheit allerdings reich an stetig wechselnden Durch- blicken und Überschneidungen. Eine Vereinigung von ruhiger Klarheit und drängender Bewegung, wie sie nur auf den höchsten Gipfeln der Kunst ge- lingt. Solche Gipfel sind aber Vierzehnheiligen und Neresheirn.
Während Balthasar Neumann aus der technischen und der Festungsbau- kunst heraus zu einem so großartigen Baukonstrukteur heranwuchs, ging Dominikus Zimmermann aus der südbayerischen ländlichen Bau- und Stuk- katurschule hervor. Auch seine Frühwerke, z. B. die Kirche Maria Mödingen bei Dillingen (1716 — 1768), gehören durch die regelmäßigen Rechtecksab- schnitte der Grundrißteilung durchaus zum Barock. In der um 1730 erbauten
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Abb. 50. Kirche zu Zwiefalten, von Job. Michael Fischer, Mitte 18. Jahrhunderts 100
Wallfahrtskirche von Steinhausen, auf einsamer Höhe vom Kloster Schussen- ried errichtet, und noch freier in der Wallfahrtskirche Wies beim Kloster Steingaden, dem um die Mitte des Jahrhunderts geschaffenen Hauptwerk, hat er sich vollständig von dieser Überlieferung freigemacht. Diese Kirchen sind oval gebildet, mit einem kuppelüberspannten Mittelraum auf frei- stehenden Pfeilern und den als Umgang für die Wallfahrtsprozessionen gebildeten Seitenschiffen. In Steinhausen sind selbst die in der Längsachse des Hauptovals ansetzenden Räume der Vorhalle und des Chores abgerundet. Nicht nur das Innere mitsamt den Pfeilern und Gesimsen, auch das Äußere des Baukörpers nimmt an der Schwingung teil. Sogar die Fenster werden in geschweiften Linien ausgeschnitten.
Der dritte im Bunde und der fruchtbarste, der Münchner Stadtbaumeister Johann Michael Fischer, knüpft in seinem frühesten Bau der St. Annakirche am Lechel in München (unfern des Nationalmuseums) noch an die von Vis- cardi in der Dreifaltigkeitskirche gegebene zentrale Raumform mit Kapellen- nischen an. Aber hier schon offenbart sich in dem Eindruck des ovalen, flach- überwölbten Raumes mit drei breiten Nischen und halbrund herausgebuchte- tem Chor ein Losringen von den regelmäßigen Linien des älteren Barock. Fischer, dem über dreißig Kirchen zugeschrieben werden, erreicht den Gipfel- punkt seines Schaffens etwa gleichzeitig mit den beiden eben genannten Mei- stern um 1740. In der Mehrzahl seiner Kirchen wird der Raum im Grundriß aus drei oder mehr fast kreisförmigen Ovalen gebildet, deren mittelstes, an Breite und Höhe die andern weit überragend, den Eindruck beherrscht. Der Blick des Eintretenden wird in der Vorhalle schon zur weiten und hohen Mit- telkuppel hinangezogen, aber dort nicht festgehalten, sondern an den flach- runden Nischen und abgeschrägten Wandpfeilern nach hinten geleitet. Die vortretenden Wände und Säulen verdecken den Ansatz des dahinter gelager- ten Chores, die flachgebogenen Quergurten überschneiden die hinteren Kup- peln. So auch hier wie in Neumanns Kirchen Ruhe und Bewegung in Einem. Doch in Fischers Schöpfungen überwiegt viel stärker noch die malerische Wirkung; man steht am Eingang wie gebannt von einer Erscheinung. Im Anschaun des Raumbildes ist man aller Wirklichkeit, aller Erdenschwere entrückt. Die wichtigsten Denkmale der reicheren Grundrißlösung sind St. Michael in Berg am Laim, (Abb. 49), nur eine Stunde Weg von München, erbaut 1737 — 1751, eine Stiftung des Clemens August von Köln, und lehrreich im Vergleich mit der frühen St. Annakirche in der Stadt selbst, großartiger noch die Kirchen in Rott am Inn (175g— 1763), in Ottobeuren und Altomünster (1763 bis 1762). Der Eindruck des einheitlichen zusammenfließenden Raumes ist nicht sehr viel anders dort, wo Fischer die Langrechteckform beibehalten
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muß, wie etwa in den Klosterkirchen von Diessen am Ammersee und in Zwie- falten (1737 — 1766; Abb. 50).
Um diese Gipfelpunkte der Kirchenkunst des Rokoko lagern sich eine Reihe weiterer Werke her, die eine verwandte Empfindung aussprechen. Aus der dem südlichen Schwaben benachbarten katholischen Schweiz ragen her- vor die Klosterkirche von Maria Einsiedeln und die von Peter Thumb aus Konstanz 1756 — 1769 erbaute Kirche des altehrwürdigen Stiftes St. Gallen. Das breite Mittelschiff erweitert sich in der Mitte zu einem ovalen hohen Kuppelraum, um den die Nebenschiffe herumgeleitet sind. Also ist auch hier ein ähnlicher Weg beschritten wie in Bayern und Franken, der seinen Aus- gang nimmt von der Klosterkirche in Weingarten. Im südlichen Schwaben stellt die Klosterkirche von Wiblingen bei Ulm in der Verschmelzung des Langhauses mit einem ovalen Mittelraum den Ausklang der schwäbischen Rokokokunst im Anfang der siebziger Jahre dar. Wie die neuen Raumgedan- ken selbst das altheimische Hallensystem in ihrem Sinne umgestalten, das veranschaulicht unübertrefflich statt vieler anderer Beispiele die von Valen- tin Thomann von 1748 — 1760 erbaute Peterskirche in Mainz. Die Gewölbe scheinen auf den überschlanken gegliederten Pfeilern zu schweben wie Zelt- tücher, die vom Winde hochgetrieben sind. Natürlich drängte diese Epoche noch viel mehr als der Barock darauf, den mittelalterlichen Kirchen ihren eigenen Charakter aufzuprägen. Ist in der Barocküberkleidung immer noch das Grundgerüst der mittelalterlichen Anlage zu fühlen, so vernichtet dieses der Rokokomeister von Grund aus. Aus der zwölfeckigen Klosterkirche in Ettal wird ein Kuppelraum, dem durch die aus der Mauer herausgeschweifte, auf Säulen ruhende Orgelempore die in sich ruhende Grundlinie des Kreises genommen wird (vgl. Abb. 33). Aus der auf waldiger Höhe über dem Ammersee gelegenen Wallfahrtskirche zu Andechs, ehemals einem langgestreckten drei- schiffigen Bau der Gotik, wird durch Wegbruch der Pfeiler und durch Schweifung der Wände ein einziger, aus drei hintereinander gelagerten, sich durchschneidenden Ovalen gebildeter Raum. Am erstaunlichsten enthüllt sich die Raumkunst des Rokoko in der Dominikanerkirche in Würzburg (jetzt Augustinerkirche). Sie ist von Neumann 1744 auf der Grundlage eines gotischen Baues unter Beibehaltung des Chores neu erbaut worden. Über- raschend ist der räumliche Eindruck, den der schmale und langgestreckte Raum des Mittelschiffs durch die im Vordergrunde schräg aufgestellten Al- tarbauten, wie durch die dem Blicke fast entfliehende Malerei und Stuckde- koration der Decke erweckt. Auch der reine Zentralbau, sei es rund oder kreuzförmig, erhält einen der Zeit gemäßen Ausdruck, wie das Käppele von Neumann in Würzburg und die nach seinen Entwürfen ausgestattete Cle-
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Abb. 51. Kirche zu Neresheim, von Balthasar Neumann, Mitte 18. Jahrhunderts
Ausstattung Louisseize
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menskirche in Münster bekunden, während in der gleichzeitigen, nach Le- geais' Entwürfen erbauten katholischen Hedwigskirche in Berlin ein stren- gerer Zug waltet.
In der Raumkunst der süddeutschen Kirchenbaumeister des Rokoko haben wir einen der Höhepunkte des Jahrhunderts. Ja, in gewissem Sinne verkör- pert sich der eigentümliche Grundzug der deutschen Kunst des Jahrhunderts in diesen Schöpfungen am reinsten. Und das gilt vom Ganzen wie vom Ein- zelnen. Den aufgelockerten, von der Luft durchspielten Kapitellen der schlan- ken Säulen und Pilaster scheinen Gebälke und Decken eine federleichte Last geworden. Die Gebälke selbst, die hohen Architrave und die weit aus- ladenden Gesimse werfen sich zugleich mit der Schwingung der Wände vor- wärts und aufwärts. Sie werden verkröpft und gebrochen und von herauf- rankenden Schnörkeln überspielt. Am stärksten in Dominikus Zimmermanns Bauten, dessen Bruder, der Stukkator Johann Zimmermann, daran mitwirkte, mehr zusammengehalten bei Fischer und am sparsamsten bei Neumann, der von Hause aus Konstrukteur erst mit den vierziger Jahren die üppige Stuck- dekoration von Oberbayern übernahm. Die oberbayerischen und südschwä- bischen Kirchen haben zugleich mit den architektonischen Formen die des Ornamentes aufs äußerste gelockert. Sie boten das Feld, auf dem die Stukka- turen von Wessobrunn jetzt zur höchsten Blüte gediehen. Auf die Gebrüder Asam folgten eine ganze Reihe höchst fruchtbarer Meister, die das Rocaille- ornament dem Kirchenbau in kongenialer Weise dienstbar machten. Neben Johann Zimmermann, dem Dekorateur der Kirche in Berg am Laim, ragt her- vor Johann Michael Feichtmayer, der mit Georg Ubelher und Franz Schefller die Klosterkirche in Amorbach ausstattete, sowie die Bauten Fischers in Diessen, Rott am Inn und Ottobeuren dekorierte. Mit der völligen Auflö- sung der plastischen Dekoration in den Rokokoschnörkeln geht die Erleich- terung der Decken durch vertiefte Gemälde Hand in Hand. Die Maler und Stukkatoren greifen ineinander. Die plastischen Schnörkel, Engel und Hei- ligenfiguren fluten über den Bildrand hinüber, wie sie auch über die Gesimse, mit Wolkenballen vereinigt, herauf- und herabfließen. Die Wände sind weiß- getüncht, und Pilaster, Füllungen und Gesimse sind durch helle Farben, vor- herrschend Blau, Grün und Gelb, gehoben. Die lichte Farbenstimmung wird durch die Führung des Lichtes gesteigert. Die oberen Fenster sind meist hin- ter Stichkappen, Gewölbgurten und Gesimsausladungen verdeckt. Das Licht, oft wie aus unsichtbaren Fernen herkommend, erfüllt die weiten Räume mit seinem lebendigen Odem. Je nach dem Stande der Sonne sammelt sich hier milder Glanz, dort weicher Schatten. Die Goldschnörkel und Strahlenglorien der Altarbauten schimmern in den Lichtwellen, und wie in Feuerfluten stre-
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ben Engel und Heilige empor. Auch jetzt drängt, wie im Barock, aller pla- stische Schmuck nach oben. Aber am Rande der Decke, am untern Ansatz der Kuppel, wogt er zurück und ballt sich zusammen. Da weitet das Gemälde den Blick. Sehnend folgt das Auge der Gläubigen den aufwärtsziehenden Wolken und seligen Chören ins lichte Himmelsgewölbe hinein. Will man den Genius der deutschen Kunst des i8. Jahrhunderts verstehen, so muß man we- nigstens einige Kirchen der Art in Wirklichkeit sehen. Wenn irgendwo die Photographie zur Wiedergabe von Raumeindrücken unfähig ist, so in diesem Falle.
Der freien Entfaltung des Rokoko in dieser Gruppe süddeutscher Kirchen steht das Festhalten an strengeren Formen gegenüber. Die Kirchenbauten des Couven in Aachen, wie die große Kuppelkirche in Burtscheid, und die des Schlaun im Münsterschen haben allerdings in der Raumgestaltung die Vereinheitlichung mitgemacht, dagegen bleiben die plastischen Formen in der Bewegung gemäßigter. Das findet teilweise seine Erklärung darin, daß beide den heimischen Backsteinbau mit Sandsteingliedern weiter entwik- keln, der bereits um 1700 im Kirchenbau der Aachener Gegend durch Meffer- datis, und im Münsterschen durch Pictorius und Lambert von Korfey ausge- bildet wurde. Eigentümlich ist die Stellung der Jesuitenkirchen abseits des Hauptstromes der Entwicklung, an dem bezeichnenderweise der altheimische Benediktinerorden den stärksten Anteil hat. Während die von dem Kurfür- sten Philipp von der Pfalz 1712 begonnene Jesuitenkirche in Heidelberg eine Hallenkirche mit schweren Pfeilern darstellt, nimmt die von demselben Für- sten 1733 nach Plänen Alessandro Galli Bibienas begonnene große! Mannhei- mer Jesuitenkirche St. Ignatz und Franz Xaver die tonnenüberwölbte ein- schiffige Raumform mit Seitenkapellen auf, die das Hauptschema des 17. Jahrhunderts gewesen war. Auch die spätesten, erst in den sechziger Jah- ren entstehenden Jesuitenkirchen in Büren (mit Kuppel in der Mitte, von Roth aus Mergentheim) und von Würzburg (St. Michael) und Mainz (St. Ig- natz von I. P. Jäger) nehmen in gewissem Sinne die strengen Formen der Spätrenaissance, des Gesü und seiner Tochterkirchen wieder auf. Freilich ist die Raumbildung zeitgemäß erweitert. Aber hier erscheint — und besonders in der Einzelbehandlung bereits eine bewußte Abwendung von dem Rokoko — eine Rückehr zu klassischen Gliedern. Damit weisen diese Schöpfungen des deutschen Kirchenbaues in die beginnende Epoche des Frühklassizismus. Es ist höchst merkwürdig, daß gerade die Jesuiten für ihre Kirchen zuerst das Gewand des Aufklärungszeitalters wählten. Die stattlichen Neubauten waren kaum beendet, als die Gesellschaft Jesu, diese Hauptträgerin des er- neuerten Katholizismus, der Auflösung durch ein päpstliches Breve verfiel.
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Abb. 52. Hofkirche in Dresden, von Chiaveri, Mitte 18. Jhh.
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Der Außenbau der Rokokokirchen folgt der Bewegung des Inneren, jedoch mit Einschränkung. Die Mitschwingung der Außenwände des ganzen Baukör- pers erfolgt nur stellenweise. So bei den oberbayerischen weißverputzten Landkirchen Zimmermanns und seiner Richtung. Im allgemeinen teilt sich die Bewegung nur der Fassade und den Türmen mit. Die Fassade von Vier- zehnheiligen veranschaulicht im Vergleich mit der der gegenüberliegenden Klo- sterkirche von Banz die Steigerung des plastischen Ausdrucks zugleich mit dem Schwung der Formen (Abb. 47). Im ganzen ist die plastische Kraft nach oben und nach der Mitte zusammengedrängt. Die mit beschwörend erhobenen Armen in scharfen Umrissen auf dem gebrochenen und verkröpften Dach- gesims stehenden Heiligenfiguren und die tiefeingeschnürten Zwiebelhauben der Türme stellen den Ausklang der die Masse ergreifenden Bewegung gegen den Himmel dar. Die freieste Auflösung erreicht in diesem Zeitpunkt eine italienische Kirchenschöpfung auf deutschem Boden, die katholische Hof- kirche in Dresden (Abb. 52). Siewurde von dem aus Warschau berufenen Römer Gaetano Chiaveri für August III. von Polen und Sachsen erbaut. Es ist die letzte Schöpfung der malerischen Richtung des römischen Barock. Das lang- ovale, reichgegliederte und statuengeschmückte Gebäude und der zierlich durchbrochene Turm wirken mit der Kuppel der Frauenkirche zusammen, um das Dresdener Stadtbild zu dem schönsten des deutschen 18. Jahrhun- derts zu machen. Wir haben also die beachtenswerte Tatsache, daß Deutsch- land die letzte Entfaltung der malerischen Strömung auch des italienischen Barock ermöglicht hat. Diese durch Borromini begründete Richtung hat entscheidend mitgewirkt, die deutschen Kirchenbaumeister des Rokoko aus dem strengen Stil des älteren Barock herauszuführen. Es sind vorzüglich die ovalen Grundrißlösungen des Borromini und seiner Schule, die den deutschen Baumeistern die Anregung dazu gaben, sich von den Rechtecksformen freizu- machen. Unstreitig haben sie aber diese Gedanken in großartigster Weise und zu völlig neuen Schöpfungen um die Mitte des Jahrhunderts verarbeitet.
Ein großer Teil der deutschen Kirchen des Barock und Rokoko sind Klosterkirchen. Ihr Äußeres ist daher oft erst als Mittelpunkt und Bekrö- nung der weitläufigen Abtei- und Kollegienbauten voll zu würdigen. Wie diese Kirchen und Gebäudegruppen sich der Umgebung einfügen, ob sie ein- gebaut in die Straßen unserer alten Städte, ob sie hingelagert in weiten Flußtälern oder auf waldigen Bergrücken aufwachsen: darin offenbart sich der starke innere Zusammenhang der künstlerischen Kultur des Katholizis- mus mit dem deutschen Boden und dem deutschen Volkstum im 18. Jahr- hundert.
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10. DER PROTESTANTISMUS DES i8. JAHRHUNDERTS
IN DEUTSCHLAND
Das 1 8. Jahrhundert ist auch eine Blütezeit des protestantischen Kirchen- baues in Deutschland gewesen. An Glanz und Fruchtbarkeit, an Fülle be- deutender Schöpfungen kann dieser sich zwar mit dem katholischen des Barock und Rokoko nicht vergleichen. Aber er hat eine innere und eigen- tümliche Bedeutung, die in einer Schilderung des deutschen i8. Jahrhunderts eine besondere Besprechung fordert.
Vergegenwärtigen wir uns zuerst in Kürze seine historischen und geisti- gen Grundlagen.
Das Bild der deutschen Geistesbildung des Barock und Rokoko wird be- zeichnet durch die Scheidung in die katholischen und protestantischen Ge- biete. So schweres Unheil die Religionsspaltung in dem Dreißigjährigen Kriege über unser Vaterland gebracht hat: so unermeßlich ist das Leben unseres Volkes später dadurch bereichert worden. Und wie sich in der zwei- ten Hälfte des 17. Jahrhunderts der wieder befestigte Katholizismus ver- jüngt und gekräftigt erhob und die Kultur der ihm treugebliebenen Land- schaften belebte, so gewann jetzt auch der Protestantismus neue Kräfte, die das geistige Wesen des evangelischen Deutschlands durchdrangen und be- fruchteten. Entscheidend tritt auch hier eine positive glaubensfreudige und tatfrohe Richtung in den Vordergrund. Mit der Vertiefung des religiösen Lebens verbindet sich die Ausprägung fester Formen. Die Predigt gewinnt einen hohen Schwung. In Leipzig, in Halle, in Berlin, in Hamburg und Königsberg entstehen geradezu Schulen trefflicher Kanzelredner. Aufs großartigste entfaltet sich die geistige Macht des evangelischen Glaubens in dem Orgelspiel. Namentlich in den Hansestädten, in Lübeck (Buxtehude), in Hamburg (Reincken) und in den thüringisch-sächsischen Gebieten, in den Stammlanden des Protestantismus, kommen hervorragende Organisten auf. Im ersten Drittel des 18. Jahrhunderts erhebt sich mit Johann Sebastian Bach, der einer alten Organistenfamilie in Eisenach entsproß, die protestan- tische Kirchenmusik auf den Höhepunkt. Unbedingt mußte doch die sich darin offenbarende rhythmische Seelenkraft auch in dem Kirchenbau gestal- tend wirken. Die äußeren und die inneren Bedingnisse liegen allerdings an-
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ders und zunächst weniger günstig als auf katholischer Seite. Der Prote- stantismus trug gerade im Gegensatz zum Katholizismus in sich einen Kern des nach innen gerichteten Denkens, der dem sinnlichen Ausdruck und dem schönen Schein entgegen war. Verständigkeit und Sachlichkeit suchen sich neben dem Gefühl in einem Grade zu behaupten, der dem Katholizismus fremd ist. Diesen Gegensatz, der für die verschiedenartige künstlerische Ge- staltung der beiden Konfessionen so bedeutsam ist, hat wiederum Ranke trefflich gekennzeichnet. „In dem Katholizismus war nicht jene Energie der ausschließenden Dogmatik, die den Protestantismus beherrschte; es gab wichtige Streitfragen, welche man (in dem Katholizismus) unausgemacht ließ : Enthusiasmus, Mystik und die tiefere, nicht bis zur Klarheit des Gedan- kens durchzubildende Sinnesweise, die sich aus religiösen Tendenzen von Zeit zu Zeit immer wieder erheben muß, ward von dem Katholizismus in sich aufgenommen, geregelt, in den Formen klösterlicher Asketik dienstbar ge- macht, von dem Protestantismus dagegen zurückgewiesen, verdammt und ausgestoßen. Eben darum brach denn auch unter den Protestanten eine solche Gesinnung, sich selbst überlassen, in mancherlei Sekten hervor und suchte sich einseitig aber frei eigene Bahnen." Indessen muß uns gerade das dennoch von dem Protestantismus auf dem Felde des Kirchenbaues Geschaf- fene doppelt interessieren. Indem er das Gotteshaus aus seinen sachlichen Bedürfnissen ganz neu bilden mußte: so wurde er von vornherein mehr auf die selbständige Gestaltungskraft gewiesen. Es war ihm die klare Aufgabe gestellt, einen Raum zu schaffen, wo der Prediger von der ganzen Gemeinde gehört und gesehen wurde und wo er mit ihr das Abendmahl nahm, einen Raum, der dem Gemeindegesang und Orgelspiel eine gute Akustik bot. Auf den reichausgestatteten Chor und die Kapellen mit den Altären konnte der Protestantismus verzichten. Der lutherische Gottesdienst gestattete aller- dings eine reichere Ausschmückung der Kanzel, der Orgel und des Altares; eine beliebte Lösung war die Vereinigung aller drei zu einer Gruppe. Auch ließ er die Errichtung von Grabmälern usw. zu, wie uns die Hansastädte zeigen, deren protestantisch gewordene gotische Hallenkirchen sich mit Epi- taphien, Familienkapellen und Gestühlen füllen. Stellenweise gewinnt im Anfang des Jahrhunderts selbst der pathetische Prunk der Zeit Eingang in die lutherischen Gotteshäuser. Grundsätzlich ablehnend gegen jede an den Katholizismus erinnernde Ausstattung bleiben dagegen die Reformierten und die Kalvinisten. Das Gepräge nüchterner Verständigkeit ist ihrem Kir- chenbau wie ihrer ganzen Denkweise gemein. Für sie, denen das Abendmahl nur eine symbolische Handlung, eine Erinnerung an das Opfer Christi, ohne dessen Gegenwart, bedeutet, ist die Kirche ausgesprochenermaßen Versamm-
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lungsort der Gemeinde. Die Presbyterial- und Synodal-Verfassung der re- formierten Kirche gab dieser das schärfste demokratische Gepräge. Zweifel- los liegen darin Züge, die aus dem Gesamtbilde der Kultur des i8. Jahrhun- derts in Deutschland, wie es bis hierher gezeichnet worden ist, herausfallen. Das reformierte Bekenntnis wurde bezeichnenderweise durch die gewerb- fleißigen Hugenotten und Niederländer vertreten, und findet besonderen An- klang in den industriereichen Gegenden des Bergischen Landes, der Pfalz usw. Sinnesverwandt sind die ebenfalls so arbeitsamen und geschickten böh- mischen und mährischen Brüder, die Sozinianer und Herrnhuter, denen be- sonders die Hohenzollern ihren Schutz gewährten, sowie die Mennoniten, die sich in Altena ansiedelten.
Für die Vertiefung des religiösen Empfindens im Protestantismus des Barock ist die bezeichnendste Erscheinung der Pietismus. Der Begründer dieser auf Beseelung des Glaubenslebens und auf Durchdringung mit den Gedanken sozialer Arbeit gerichteten Strömung war Spener, der in Frank- furt, in Halle und Berlin predigte. Sein Schüler August Hermann Franke begründete um 1700 das Hallesche Waisenhaus, die große Erziehungs-, Bibel- und Missionsanstalt, die von weitreichendem Segen für das religiöse Leben des Bürgertums in Preußen wurde. Allerdings suchte die orthodoxe Theologie die hier und anderwärts so zahlreich ans Licht dringenden Son- derbestrebungen zu unterdrücken. Ihre Gegnerschaft erfuhr auch Leib- nizens Plan einer Vereinigung der evangelischen Kirchen mit der katho- lischen. Sie vermochte den strenggläubigen Friedrich Wilhelm I. zur Ab- setzung des Philosophen Wolf von seiner Professur in Halle zu bewegen.
Der Schwerpunkt des geistigen und künstlerischen Lebens im Protestan- tismus liegt in Mittel- und in Norddeutschland. Die von dem Süden Deutsch- lands abweichenden Charakterzüge wirken natürlich bei der Ausprägung der protestantischen Kirchenkunst entscheidend mit. Der engen Verbindung der süddeutschen Kirchenkunst mit Rom und Italien steht im Norden die- jenige mit dem reformierten Frankreich und Holland gegenüber. Der prote- stantische deutsche Norden tritt damit in Fühlung mit dem großen Kultur- kreis der Küsten der Ostsee und der Nordsee. Die vorwiegend bürgerliche Grundrichtung des Protestantismus verknüpft insbesondere die Handels- und Industriekreise der Städte Norddeutschlands mit den Niederlanden und mit England. Ja, es spinnen sich bereits auch durch die Auswanderungen Beziehungen mit dem angelsächsischen Nordamerika an. Die äußeren und inneren Umstände bewirkten in dem protestantischen Deutschland auch, ab- gesehen von der Religion, eine in vielen Beziehungen von den katholischen Landschaften abweichende Geistesentwicklung. Die Möglichkeit der Ent-
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Abb. 53. Dreifaltigkeitskirche in Berlin, Ende der dreißiger Jahre des 18. Jahrh.
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faltung des nationalen Denkens war an sich eine größere, da der Gottesdienst in der Landessprache gehalten wurde. In der Lutherischen Bibelübersetzung und dem evangelischen Gesangbuch besaß das evangelische Bürgerhaus zu- gleich einen unerschöpflichen Born der deutschen Sprache. War doch mit der Bibelübersetzung die neuhochdeutsche Sprache erst erwachsen. Zieht man in Betracht, daß die Bibel und das Gesangbuch fast durch das ganze 1 8. Jahr- hundert hindurch die einzigen Bücher des werktätigen deutschen Bürger- und Bauernhauses waren, so leuchtet die bedeutende Rolle ein, die diesen Büchern für das spätere Emporkommen des deutschen Schrifttums zu- kommt. Allerdings ist es bezeichnend für den geringen Gehalt künstlerischer Bildgestaltung in dem Protestantismus des i8. Jahrhunderts, daß die Bibel- illustration auf die tiefste Stufe sank. Sie zehrte an dem Schatz des 1 5. Jahr- hunderts, soweit Holzschnitt und Kupferstich in Frage kommen. Die reli- giöse Ölmalerei kommt über eine leere Nachahmung der Niederländer aus den Zeiten Rembrandts kaum hinaus.
Während der Katholizismus im i8. Jahrhundert die Gefühlsseiten unseres Volkes, insbesondere in der Musik und der Raumkunst, aufs herrlichste be- fruchtet hat, wirkte der Protestantismus auf die Entfesselung des geistigen Lebens positiv ein. Seine Verdienste sind darin vielleicht noch größer in mittelbarer Hinsicht, negativ, indem er in höherem Grade das persönliche Denken, Empfinden und Forschen begünstigte. Daher der Aufschwung des philosophischen Geistes von Leibniz bis Kant und der des dichterischen Gei- stes in der zweiten Hälfte des i8. Jahrhunderts, der in der Hauptsache auf das protestantische Nord- und Mitteldeutschland beschränkt blieb. Selbst die großen süddeutschen Dichter, Wieland, Goethe und Schiller, gingen aus protestantischen Familien hervor. Es ist da auch die protestantische Nord- schweiz mit Haller und Bodmer zu nennen, während ja die katholischen Stände mit dem katholischen Schwaben zusammen eine hohe Blüte der barocken Kirchenbaukunst erlebten. Das Herzogtum Württemberg und die protestantischen Markgrafschaften Baden-Durlach, Ansbach-Bayreuth, die Landgrafschaft Hessen-Darmstadt sowie die Reichsstädte, voran Ulm, Nürn- berg und Frankfurt, sind nicht zu vergessende Enklaven des evangelischen Lebens inmitten des katholischen Südens und haben auch für den protestan- tischen Kirchenbau eine gewisse Bedeutung.
II. DER PROTESTANTISCHE KIRCHENBAU
Die Anfänge des protestantischen Kirchenbaues Deutschlands liegen be- reits in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Die evangelische Predigt- und Gemeindekirche findet ihre erste eigene Lösung in der gleichen Epoche, die dem katholischen Kirchenbau der Gegenreformation neues Leben gab. Es ist überaus bezeichnend, daß die deutschen protestantischen Kirchen dieser ersten Stufe Gedanken aufnehmen, die im deutschen Kirchenbau der Spät- gotik ausgebildet waren. So sind die großen Kirchen von Wolfenbüttel und Bückeburg und die erste St. Michaelskirche in Hamburg (164g — 1651) als Hallenkirchen mit Kreuzgewölben auf Rundpfeilern gebildet. Die von dem v/ürttembergischen Baumeister Schickhart errichtete einschiffige, im rech- ten Winkel gebaute Kirche in Freudenstadt ist sogar mit gotischen Netzge- wölben überdeckt. Der einschiffige rechteckige Raum wurde in der Zeit nach dem Dreißigjährigen Kriege die gebräuchlichste Form der protestantischen Kirche. So kunstlos er ist, so bot er den Bedürfnissen der Predigt, des Ge- meindegesanges und des Orgelspiels Befriedigung, wobei die Stellung der Kanzel in der Mitte der Längsachse und die Herumgruppierung der Kirchen- bänke eine beliebte Lösung war. Diese Fassung schlägt auch der Ulmer Stadtbaumeister Furttenbach in einer nach dem Dreißigjährigen Kriege er- schienenen Schrift als die beste, namentlich für unbemittelte und ländliche Ge- meinden, vor. Die Altstädterkirche in Erlangen und die Kreuzkirche in Augsburg, vorzüglich die Katharinenkirche in Frankfurt am Main von dem Stadtbaumeister Melchior Hessler, sind einige Beispiele der Jahrzehnte nach dem Kriege. Der klare und wohlräumige Raum der Frankfurter Katha- rinenkirche mit flachen Kreuzgewölben und gotischen Fenstergliederungen ist ein Zeugnis der selbständig formenden Kraft des deutschen Protestan- tismus, die auf andere Weise gleichzeitig in den Kirchenliedern des Paul Gerhardt und der geistlichen Dichter zutage tritt. Vergegenwärtige man sich nur, daß mit der Reihe der eben aufgezählten protestantischen Kirchen gleichlaufen im katholischen Deutschland die Michaelskirche in München, der Dom in Salzburg, die Theatinerkirche in München und der Dom in Passau: Wie tritt uns in diesen nebeneinander hergehenden Erscheinungen
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faltung des nationalen Denkens war an sich eine größere, da der Gottesdienst in der Landessprache gehalten wurde. In der Lutherischen Bibelübersetzung und dem evangelischen Gesangbuch besaß das evangelische Bürgerhaus zu- gleich einen unerschöpflichen Born der deutschen Sprache. War doch mit der Bibelübersetzung die neuhochdeutsche Sprache erst erwachsen. Zieht man in Betracht, daß die Bibel und das Gesangbuch fast durch das ganze 1 8. Jahr- hundert hindurch die einzigen Bücher des werktätigen deutschen Bürger- und Bauernhauses waren, so leuchtet die bedeutende Rolle ein, die diesen Büchern für das spätere Emporkommen des deutschen Schrifttums zu- kommt. Allerdings ist es bezeichnend für den geringen Gehalt künstlerischer Bildgestaltung in dem Protestantismus des i8. Jahrhunderts, daß die Bibel- illustration auf die tiefste Stufe sank. Sie zehrte an dem Schatz des 1 6. Jahr- hunderts, soweit Holzschnitt und Kupferstich in Frage kommen. Die reli- giöse Ölmalerei kommt über eine leere Nachahmung der Niederländer aus den Zeiten Rembrandts kaum hinaus.
Während der Katholizismus im i8. Jahrhundert die Gefühlsseiten unseres Volkes, insbesondere in der Musik und der Raumkunst, aufs herrlichste be- fruchtet hat, wirkte der Protestantismus auf die Entfesselung des geistigen Lebens positiv ein. Seine Verdienste sind darin vielleicht noch größer in mittelbarer Hinsicht, negativ, indem er in höherem Grade das persönliche Denken, Empfinden und Forschen begünstigte. Daher der Aufschwung des philosophischen Geistes von Leibniz bis Kant und der des dichterischen Gei- stes in der zweiten Hälfte des i8. Jahrhunderts, der in der Hauptsache auf das protestantische Nord- und Mitteldeutschland beschränkt blieb. Selbst die großen süddeutschen Dichter, Wieland, Goethe und Schiller, gingen aus protestantischen Familien hervor. Es ist da auch die protestantische Nord- schweiz mit Haller und Bodmer zu nennen, während ja die katholischen Stände mit dem katholischen Schwaben zusammen eine hohe Blüte der barocken Kirchenbaukunst erlebten. Das Herzogtum Württemberg und die protestantischen Markgrafschaften Baden-Durlach, Ansbach-Bayreuth, die Landgrafschaft Hessen-Darmstadt sowie die Reichsstädte, voran Ulm, Nürn- berg und Frankfurt, sind nicht zu vergessende Enklaven des evangelischen Lebens inmitten des katholischen Südens und haben auch für den protestan- tischen Kirchenbau eine gewisse Bedeutung.
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II. DER PROTESTANTISCHE KIRCHENBAU
Die Anfänge des protestantischen Kirchenbaues Deutschlands liegen be- reits in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Die evangelische Predigt- und Gemeindekirche findet ihre erste eigene Lösung in der gleichen Epoche, die dem katholischen Kirchenbau der Gegenreformation neues Leben gab. Es ist überaus bezeichnend, daß die deutschen protestantischen Kirchen dieser ersten Stufe Gedanken aufnehmen, die im deutschen Kirchenbau der Spät- gotik ausgebildet waren. So sind die großen Kirchen von Wolfenbüttel und Bückeburg und die erste St. Michaelskirche in Hamburg (1649 — 1651) als Hallenkirchen mit Kreuzgewölben auf Rundpfeilern gebildet. Die von dem v/ürttembergischen Baumeister Schickhart errichtete einschiffige, im rech- ten Winkel gebaute Kirche in Freudenstadt ist sogar mit gotischen Netzge- wölben überdeckt. Der einschiffige rechteckige Raum wurde in der Zeit nach dem Dreißigjährigen Kriege die gebräuchlichste Form der protestantischen Kirche. So kunstlos er ist, so bot er den Bedürfnissen der Predigt, des Ge- meindegesanges und des Orgelspiels Befriedigung, wobei die Stellung der Kanzel in der Mitte der Längsachse und die Herumgruppierung der Kirchen- bänke eine beliebte Lösung war. Diese Fassung schlägt auch der Ulmer Stadtbaumeister Furttenbach in einer nach dem Dreißigjährigen Kriege er- schienenen Schrift als die beste, namentlich für unbemittelte und ländliche Ge- meinden, vor. Die Altstädterkirche in Erlangen und die Kreuzkirche in Augsburg, vorzüglich die Katharinenkirche in Frankfurt am Main von dem Stadtbaumeister Melchior Hessler, sind einige Beispiele der Jahrzehnte nach dem Kriege. Der klare und wohlräumige Raum der Frankfurter Katha- rinenkirche mit flachen Kreuzgewölben und gotischen Fenstergliederungen ist ein Zeugnis der selbständig formenden Kraft des deutschen Protestan- tismus, die auf andere Weise gleichzeitig in den Kirchenliedern des Paul Gerhardt und der geistlichen Dichter zutage tritt. Vergegenwärtige man sich nur, daß mit der Reihe der eben aufgezählten protestantischen Kirchen gleichlaufen im katholischen Deutschland die Michaelskirche in München, der Dom in Salzburg, die Theatinerkirche in München und der Dom in Passau: Wie tritt uns in diesen nebeneinander hergehenden Erscheinungen
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der tiefgehende Unterschied zwischen den beiden religiösen Hauptrichtun- gen Deutschlands vor Augen! Wie bedeutsam insbesondere die bodenstän- digen praktischen Grundlagen im protestantischen und die italienischen im katholischen Kirchenbau!
Allein die Fortentwicklung des protestantischen Kirchenbaues im Sinne des Barock erfolgte nun keineswegs aus eigener Kraft, sondern durch mäch- tige, von dem westlichen Protestantismus, von dem reformierten Frank- reich und Holland ausgehende Anregungen. In Frankreich hatte de Brosse und in den Niederlanden hatten Hendrik de Kaiser und vollends Hendrik Dankerts in Amsterdam während der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts dem evangelischen Kirchenbau eine höhere Kunstform aufgeprägt. Sie haben der um Kanzel und Altar gruppierten Gemeindeversammlung in dem Zen- tralbau die geeignetste Behausung gegeben. Die hauptsächlichsten der um einen Mittelpunkt geordneten Grundrisse sind das Sechs- und Achteck, der reine Kreis und, namentlich bei stattlicheren Kirchen, das griechische Kreuz, beziehungsweise ein zentraler Mittelraum mit ganz kurzen gleich- langen Armen. Diese Arme boten teilweise den Platz für Altar und Orgel, teilweise für die Treppen zu den Emporen. Die meist in Holz ausgeführten galerieartigen Emporen, die schon in den älteren protestantischen Kirchen zu Hause waren, hatten in dem hohen Zentralbau die beste Möglichkeit, sich in Geschossen übereinander zu entwickeln. Die Hauptträger der neuen Kir- chenlösungen sind natürlicherweise die nach Deutschland auswandernden Protestanten aus Frankreich und den Niederlanden. Schon im Jahre 1622 wird die achteckige reformierte Kirche in Hanau von vertriebenen Nieder- ländern erbaut. Im Jahre 1654 wird ihr eine weit größere, im Zwölf eck ge- brochene Kirche von den reformierten Wallonen hinzugefügt. Beide Kirchen sind mit riesigen steilen Schieferdächern bedeckt. Als kreuzförmige Kirchen gehen zeitlich voran die 1643 begonnene reformierte neue Kirche in Emden und die 1662 erbaute in Kissenbrück in Braunschweig. Im Achteck sind die französische Kirche in Kassel vom ältesten Dury, die kleine Kirche beim Schlosse Oranienbaum in Dessau und die in Malberg bei Karlsruhe aus dem letzten Drittel des 17. Jahrhunderts. Geradezu eine Nachblüte erlebt die hol- ländische Kirchenbauschule in Brandenburg-Preußen um 1700. Die reichere Kreuzform, teilweise mit dreieckig oder fünfeckig gebrochenen Abschlüssen, v/ird hier fortgebildet. In Zerbst in Anhalt, südlich von Berlin erbaut Cornelisz Ryckwaerts die Dreifaltigkeitskirche im Jahre 1683. Die wahrscheinlich von Nehring seit 1690 erbaute reformierte Burgkirche in Königsberg in Preußen, mit doppelten, fünfeckig gebrochenen Querarmen, ist eine Nach- bildung der neuen Kirche im Haag. Formverwandt ist die von Nehring be-
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Abb. 54. Aufriß der evangelischen Kirche in Buch, von Wiesend, um 1730
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gonnene, von Grünberg weitergeführte Parochialkirche an der Klosterstraße in Berlin — noch ohne den Turm — ein griechisches Kreuz mit dreiseitigen Abschlüssen. Vereinfachungen stellen zwei von Grünberg erbaute Kirchen dar: die kreuzförmige Johanneskirche in Dessau und die neue, um 1700 er- baute Kirche auf dem Gendarmenmarkt in Berlin in Fünfecksform. Kreuz- kirchen sind ferner die von dem Markgrafen Georg Wilhelm erbaute Ordens- kirche in der Vorstadt St. Georgen bei Bayreuth (1705 — 1718), die 1708 begonnene Nikolai kirche in Schwerin von dem Ingenieur Runz und die schlesischen Gnadenkirchen in Hirschberg und Landeshut mit ringsum lau- fenden Holzemporen. Sie sind infolge der von Karl XII. mit Kaiser Joseph I. im Jahre 1706 getroffenen Konvention von Altranstädt errichtet worden und schließen sich der St. Katharinenkirche in Stockholm an. Der schwe- dische Kirchenbau steht wiederum in Fühlung mit dem holländischen; des- gleichen der dänische. Von Kopenhagen verbreiten sich die Zentral- kirchen, so auch die Kreuzanlagen durch das zugehörige Schleswig-Holstein nach Altona und Hamburg.
Der protestantische Kirchenbau im letzten Drittel des 17. Jahrhunderts geht in künstlerischer Hinsicht selbstverständlich unmittelbar zusammen mit dem gleichzeitigen Schloßbau Norddeutschlands, da es doch überwiegend die gleichen holländischen und französischen Baumeister und Kupferwerke sind, auf denen beide beruhen. Aber es verbinden ihn wenigstens geistesverwandte Züge auch mit dem katholischen Kirchenbau Süddeutschlands in der gleichen Epoche. Das ist die durchgehende architektonische Strenge im Grundriß und im Aufbau, die, wie man sich erinnert, bereits als Merkmal der katho- lischen Kirchen des deutschen Frühbarock zu beobachten ist. Die prote- stantischen Kirchen gehen diesbezüglich freilich sehr viel weiter. Nicht nur die Grundrisse, auch der Aufbau hält sich in klaren mathematischen For- men. Langgezogene Fenster und flache Mauerstreifen bilden meist die ein- zige Belebung der Außenwände. Dem entspricht die einfache Behandlung des Inneren mit flacher Decke oder hölzernem Gewölbe; Altar, Kanzel und Emporen von größter Schlichtheit und alles geweißt. Es steckt in dieser Kunst ein Zug der Sachlichkeit, der sie den Baumeistern unserer Zeit zum eifrigsten Studium empfiehlt. Zumal die einfachen Putzbauten der Dorf- siedlungen Friedrichs III. und Friedrich Wilhelms I. in der Mark Branden- burg und die Backsteinbauten der Städte und Dörfer Schleswig-Holsteins. Die Kirchenbaukunst der norddeutsch-hoUändisch-hugenottischen Schule ist nicht weniger von klaren sinnlichen Raumvorstellungen erfüllt, als die der italienisch-süddeutschen, nur sind sie anderer Art. Eine mehr theoretische Bedeutung haben die um 1710 erschienenen Kirchenentwürfe des Mathe-
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matikarchitekten Leonhard Sturm, eines Schülers des Mathematikers Gold- mann an der Universität Leiden. Doch haben die Entwürfe des in Frank- furt an der Oder, in Berlin, in Mecklenburg und in Braunschweig tätigen Sturm auf die weitere Entwicklung des protestantischen Kirchenbaues ge- ringen Einfluß gehabt. Dieser beginnt eben jetzt — also wenig später als der katholische Kirchenbau — die gewonnenen strengen Grundformen mit grö- ßerer Wärme zu durchdringen, und da ist es gerade die Kreuzkirche, gegen die sich Sturms errechnete Vorschläge wenden, die der Gegenstand reicherer Durchbildung wird.
Drei Hauptsitze des evangelischen Lebens werden jetzt Mittelpunkte des protestantischen Kirchenbaues in der Reifezeit des Barock : Berlin unter dem tiefgläubigen Friedrich Wilhelm I., Dresden und Hamburg-Altona mit Schleswig-Holstein. Ein vierter Mittelpunkt ist das Bergische Land mit Barmen und Elberfeld als den wichtigsten Städten. In Berlin bezeichnen den Übergang von den älteren Formen die Garnisonkirche und die Jerusa- lemerkirche von Gerlach, in Potsdam die Heiliggeistkirche von la Gayette. Den Höhepunkt stellen dar die in den dreißiger Jahren entstandenen Bauten der Garnisonkirche in Potsdam von Gerlach (Abb. 57), der im Jahre 1809 durch Brand zerstörten großen Petrikirche von Gerlach und Grael (1730), sowie der beiden kreisrunden, mit kurzen Kreuzarmen versehenen Kirchen an der Mauerstraße: die Dreifaltigkeitskirche (Abb. 53) und die Böhmische Kirche (Abb. 55). Die Potsdamer Garnisonkirche in Kreuzform und ebenso die Berliner Dreifaltigkeitskirche in Kreisform, beide mit Emporen auf Pfei- lern, offenbaren die Steigerung des Raumsinnes und der plastischen Gliede- rung, die in den dreißiger Jahren den protestantischen Kirchenbau von der flachen und geometrischen Gestaltungsweise des Frühbarock weggeführt hat. Das bedeutendste Denkmal dafür muß die ebenfalls kreuzförmige, im Innern mit kreisartig geführten Emporen ausgestattete Petrikirche gewesen sein. Das Äußere der Berliner Kirchen erhält durch die hohen, im obersten Geschoß reichdurchbrochenen Türme eine lebhaftere Betonung. Die hoch- ragenden Türme waren eine Liebhaberei Friedrich Wilhelms I., die ihm in Holland erweckt worden ist. Der Ausgangspunkt der eigentlich Berliner Fas- sung ist der wundervolle Münzturmentwurf Andreas Schlüters. An der Spitze steht der noch strenge, von Gerlach 1713 — 17 14 erbaute Turm der Parochial- kirche; es folgen der schlanke Sophienkirchturm in Berlin und der der Heilig- geistkirche in Potsdam, beide von Grael, und der 1730 erbaute, eingestürzte großartige Turm der Petrikirche, als Glanzstück endlich der schön nach oben verjüngte und durchbrochene Turm der Potsdamer Garnisonkirche. In seinem Gewölbe stehen die schmucklosen Särge Friedrich Wilhelms I.
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Abb. 55. Böhmische Kirche in Berlin, um 1735
und Friedrichs des Großen — die Kirche selbst ist mit den ruhmreichen Fahnen des Gardekorps und des brandenburgischen Armeekorps ausgestat- tet. Aus dem obersten Turmgeschoß klingen die alten Choräle des Glocken- spiels trostreich über die alte Preußenstadt und die Havellandschaft hin. Aus der Mark selbst verdient die nach Plänen Wiesends von Dietrichs erbaute, innen und außen stattliche kreuzförmige Kirche in Buch aus dem Anfang der dreißiger Jahre Beachtung (Abb. 54)''). Mit Friedrichs des Großen Regierung kam der monumentale protestantische Kirchenbau zum Stillstand. An der Entfaltung zum Rokokostil hat er nicht teilgenommen. Wie sehr der große
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Abb. 56. Frauenkirche in Dresden, von Bahr, um 1730
König der inneren Fühlungnahme mit dem religiösen Wesen der Kirchen- kunst ermangelte, beweist der Umstand, daß er Knobelsdorff beauftragte, der alten schlichten protestantischen Nikolaikirche auf dem Markt in Pots- dam eine Kopie der Fassade von Sa. Maria Maggiore in Rom vorzublenden. Eine Komposition im reichsten römischen Spätbarock von Fuga, gewisser- maßen eine Theaterkulisse !
In Dresden und Sachsen entfaltete sich der Kirchenbau gleichfalls im zweiten Jahrzehnt des Jahrhunderts zu größerem Reichtum. Es ist die Bür-
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gerschaft, die von der Baulust Augusts des Starken jetzt zur Errichtung statt- hcher Kirchen angespornt wird — der katholisch gewordene König förderte diese dessen unbeschadet nach besten Kräften. Die Loslösung aus dem stren- geren Schema des Frühbarock unternahmen bereits die zentralen kreuzför- migen Kirchen von Bahr in Schmiedeberg (17 13 begonnen) und in Forch- heim in Sachsen und Hohnstein bei Pirna aus den zwanziger Jahren. Die von Pöppelmann und Bahr erbaute Dreifaltigkeitskirche in Dresden-Neu- stadt, ein Rechteck im Grundriß, bezeugt durch die schöngeschwungenen ovalen mehrgeschossigen Emporen auf durchgehenden Pfeilern den gleichen Fortschritt wie in Berlin — übrigens wurde Pöppelmann bei den Entwürfen der Berliner Petrikirche zu Rate gezogen. Das großartigste Denkmal nicht nur des Dresdener, sondern des deutschen protestantischen Barock über- haupt, ist die im Jahre 1726 begonnene Frauenkirche, das Meisterwerk Bährs, deren Bau sich bis in den Ausgang der Barockepoche hingezogen hat (Abb. 56). Die Gedanken des protestantischen Zentralbaues, die sich seit dem 17. Jahrhundert entwickelt hatten, werden hier mit höchster Gestal- tungskraft zur letzten Vollendung gebracht. Das Innere ist kreisförmig mit fünf galerieartigen Emporen zwischen mächtigen durchgehenden korinthi- schen Pfeilern, die zugleich die hohe Kuppel tragen helfen. Das Äußere hat vier schräggestellte Treppentürme und dazwischen pilastergeschmückte Vor- lagen mit den Eingängen und einem herausgebuchteten Chor. Das etwas schachtartige Innere ist durch die Überschneidung der langen Fenster nicht günstig beleuchtet. Vor dem ovalen Chor baut sich auf geschweiftem Grund- riß eine Kanzeltribüne mit dem Altar und hohem Säulenaufbau und der Orgelempore dahinter auf. Diese von oben beleuchtete, prächtig ausgestat- tete Gruppe inmitten der zu verglasten Betstübchen eingerichteten Logen und der Galerien darüber erinnert fast an gleichzeitige katholische Barock- kirchen. Bährs Kuppelraum bleibt aber an Raumwirkung weit zurück hinter solchen Schöpfungen wie der Karlskirche oder der Peterskirche in Wien. Dennoch wird man auch dem Inneren der Frauenkirche die Bewunderung nicht versagen, wenn man sich klar macht, eine wieviel schwierigere Auf- gabe die künstlerische Lösung der protestantischen Predigt- und Gemeinde- kirche bot. Unbestritten ist die Schönheit des Äußeren. In dieser Hinsicht ist die Frauenkirche eine der großartigsten architektonischen Schöpfungen Deutschlands. Der Körper des Gebäudes hält an den langen Rundbogenfen- stern, und strengen Pilastergliederungen der protestantischen Überlieferung fest. Um so freier und herrlicher erhebt sich die, auf hohem eingeschweiftem Unterbau ruhende steile Kuppel mit unvergleichlich steigendem Umriß em- por. Bekrönt mit einer schlanken Laterne und umgeben von den vier
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kandelaberartig geschwungenen Aufsätzen der vier Ecktürme, bietet sie ein Bild von Kraft und Zierlichkeit, von Ernst und Frohsinn. Wie der ganze Bau, so ist auch die Kuppel aus großen Eibsteinquadern aufgemauert, die fast schwarz geworden sind. Aber in dem Sonnenlicht leuchtet die Stein- masse immer noch genug, um das kühne plastische Leben zur Geltung zu bringen. Die Verbindung von Strenge und erhabener Heiterkeit dieser groß- artigsten Schöpfung des protestantischen Kirchenbaues offenbart einen der Bachschen Kirchenmusik im Innersten verwandten Geist. Die unermüdet durch dauernde Widerwärtigkeiten und feindselige Anfechtung zum Höch- sten durchdringende Persönlichkeit des Ratszimmermeisters Bahr kann uns zugleich als ein Typus der von einem unbesiegbaren Gottvertrauen erfüllten evangelischen Männer gelten, die für das deutsche 1 8. Jahrhundert so be- zeichnend sind. Aus dem Jugendleben Jung Stillings und Klödens und an- deren Lebensbeschreibungen wird uns diese Grundstimmung im protestan- tischen Bürgertum Norddeutschlands verständlich. In das Rokokozeitalter führt den Dresdener Kirchenbau des Meisters Schüler Schmidt hinüber. Die T-förmige Stadtkirche in Großenhain (1748), die rechteckige Annenkirche (seit 1766) und die fast quadratische, mit flachrundem Chor schließende, 1764 begonnene Kreuzkirche in Dresden bezeugen in der weiträumigeren Anordnung der im Oval gebogenen mehrgeschossigen Emporen zwischen hohen Pfeilerarkaden den fortgeschrittenen Raumsinn dieser Epoche.
Um die Mitte des Jahrhunderts erheben sich auch einige Meister aus dem Kreise der Kirchenbaukunst der Niederelbe und Schleswig-Holsteins zu jener Vervollkommnung des einheitlichen zentralen Kirchenraumes, die zu gleicher Zeit, wenn auch in ganz anderer Weise, von den großen süddeut- schen katholischen Zeitgenossen erstiegen worden war. Es ist doppelt be- merkenswert, daß auch diese Schule, die auf den schlichten Backsteinformen beruhte, jetzt in ihren Raumbildungen den Flug aus der Strenge des älteren Barock zur Freiräumigkeit unternommen hat. Drei große Kirchen, alle auf kreuzförmigem Grundriß, sind dafür die Hauptzeugnisse : die Hauptkirche inAltona, nach dem Vorbild der Kopenhagener Garnisonkirche von Cai Dose in Schleswig erbaut, die Hamburger Georgskirche in der Vorstadt St. Georg von dem Stadtzimmermeister Johann Leonhard Prey und, der Gipfelpunkt der norddeutschen protestantischen Kirchenraumkunst : die große Ham- burger Michaelskirche, die von 1750 — 1762 durch Sonnin erbaut wurde. Die bekanntlich im Jahre 1906 durch einen Brand schwerbeschädigte Kirche ist ein Kreuz mit ganz kurzen Armen und vier freistehenden mächtigen Pfeilern in der Vierung. Der weite Mittelraum ist mit einem flachen Muldengewölbe überdeckt. Die an sich schon äußerst freie Raum-
Wirkung wird aufs glücklichste durch eine einzige Empore gehoben, die von kieeblattförmigem Grundriß, durch ihre geschweifte Brüstung den großen Zug des Raumes wie durch ein breites Band betont. Die Kirche vermochte die bisher größtmögliche Zuschauermenge zu fassen, 3000 bei lockerer und 6000 bei gedrängter Besetzung. Das Äußere teilt mit den Backsteinkirchen der niederelbisch-schleswig-holsteinschen Gebiete die Beschränkung auf strenge Pilaster, die nur in ihrer reicheren Verkröpfung ihre Entstehungszeit im Rokokozeitalter verraten. Der erst 1777 — 1786 von Sonnin errichtete Turm mit off ener Säulenlaube im obersten Geschoß wendet sich bereits dem Klassi- zismus zu. Die Lebensumstände des genialen Hamburger Baumeisters wer- fen ein Streiflicht auf die in dem norddeutschen Protestantismus wirkenden geistigen Kräfte. Als Sohn eines Predigers in der Priegnitz geboren (1709) studierte Sonnin zuerst in Halle Theologie. Er bildete sich in der Mathe- matik an den Schriften Wolfs und Eulers und befaßte sich auch mit der Philosophie, insbesondere mit der prästabilierten Harmonie, die damals in Halle noch Leibniz' Schüler, Wolf, lehrte. In Hamburg erlernte er dann den Mechanikerberuf und wurde erst als reifer Mann durch einen dortigen Bürger zur Beschäftigung mit der Architektur veranlaßt. Gleich sein erster Bau war die Michaelskirche, in deren Bauleitung er dem Stadtzimmermeister Prey beigeordnet wurde. Sonnins Leistungen auf dem Gebiete der Baumechanik, der Statik, der Mathematik, in allen praktischen Zweigen der Baukunst m-üssen hier übergangen werden. Ein Vergleich seiner Hauptschöpfung mit dem größten protestantischen Kirchenbau seines Landsmannes Schinkel auf dem Markt in Potsdam, der Nikolaikirche von 1830, ist lehrreich zur Er- kenntnis der Unterschiede zwischen dem protestantischen Kirchenbau des 18. und dem des 19. Jahrhunderts. Sonnins Raum ist trotz aller klaren Ver- ständigkeit von der Wärme des lebendigen Raumsinnes erfüllt, dahingegen Schinkels viereckiger zentraler Kuppelbau, als ein Werk mehr des abstra- hierenden Verstandes unter der vorherrschenden geistigen Energie unver- gleichlich ärmer an wohlräumiger Wirkung ist. Gerade in dem protestan- tischen Kirchenbau tritt jener eingangs charakterisierte Grundzug in der Baukunst des 18. Jahrhunderts, die anschaulich empfundene Mathematik, zu- tage. Die letzte monumentale Schöpfung der Barock- und Rokokoepoche ist die ebenfalls kreuzförmige Ludwigskirche in Saarbrücken, die als Krönung eines neuen Stadtviertels von Stengel unter dem Fürsten Ludwig von Nassau- Saarbrücken errichtet wurde. Ihre prächtige innere und äußere Dekoration stellt den Ausklang des Rokokostils dar.
Die Hauptströmung des protestantischen Kirchenbaues von der Mitte des 17. bis über die Mitte des 18. Jahrhunderts hinaus verläuft also in der glei-
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Abb. 57. Altar der Garnisonkirche in Potsdam, um 1730
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chen Richtung wie die des katholischen, trotz der so starken Abweichungen im einzelnen und in dem inneren Wesen. Wir müssen uns versagen, auf die ■^'eiteren bemerkenswerten Schöpfungen einzugehen, unter denen die der süddeutschen Enklaven wohl besondere Erwähnung verdienten (z. B. die durch ihren ovalen Predigtraum ausgezeichnete Ägidienkirche in Nürnberg von Troost, 1711 — 1718). Auch die große Reihe der an der einfachen recht- eckigen Form des Betsaales festhaltenden schlichteren Stadt- und Dorfkir- chen muß sich hier mit diesem kurzen Hinweis begnügen. Sie sind vor allem von den Reformierten und Hugenotten, auch von den Herrnhutern be- vorzugt worden (vgl. die 1756 erbaute Kirche der Brudergemeinde in Herrn- hut). Gerade das Innere der einfachen protestantischen Kirchen mit den weißgetünchten Wänden, den schlichten Holzemporen und den hellen Fen- stern atmet einen Geist der Sachlichkeit, der sie dem modernen Empfinden wohltuend macht. Es ist erstaunlich, mit welcher Sinnlosigkeit der Prote- stantismus diesen bis über das 18. Jahrhundert hinaus gepflegten Schatz, gesunder künstlerischer Denkweise durch falsche Romantik und frömmelnde Unsicherheit im 19. Jahrhundert zerstört hat. Auch das Äußere gerade der schlichten protestantischen Kirchen zeugt von der bodenständigen, bei aller Schmucklosigkeit nicht gefühlsarmen Denkweise der prote- stantischen Kirchenbaumeister des 18. Jahrhunderts. Das tritt vor allem dort, wo die protestantischen Kirchen noch in der alten, gleichzeitig ent- standenen Umgebung stehen, zutage. So an den schlichten gelbverputzten Kirchenbauten der kleinen Städte und Kolonistendörfer der Mark Branden- burg, wie nicht minder in den kleinen Backsteinkirchen der Eibmarschen und in Schleswig-Holstein. So auch in den Kirchen der alten Industriestädte des Bergischen Landes. Hier sind ihre grauen Putzwände, ihre schwarzge- schieferten Dächer und die gleichfalls schwarzgeschieferten bauchigen Zwiebelhauben der dicken Viereckstürme mit den Schieferhäusern lebendig verwachsen. Eine solche Gemeinde fleißiger Garnbleicher, Weber oder Schleifer in den Tälern der Wupper und Lenne oder auf den Höhen von Berg und Mark, eine solche Stadt mit dem schlichten, aus Schornsteinen und Essen herausragenden Gotteshaus ist im Bilde des deutschen Volks- tums des 18. Jahrhunderts so wenig zu vergessen wie die ausgedehnten Klosteranlagen in den Donau- und Mainlandschaften.
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Abb. 58. Waisenhaus in Oranienburg, um 1670
12. DIE WELTLICHE ARCHITEKTUR DES BAROCK DIE SCHLÖSSER, ABTEIEN, BÜRGERHÄUSER USW.
Die künstlerische Entwicklung der weltlichen Architektur des Barock und Rokoko geht selbstverständlich aufs engste zusammen mit der der kirch- lichen Baukunst, die in den vorhergehenden Abschnitten umrissen worden ist. Indessen machen die so völlig anders gearteten praktischen Bedingnisse und stilistischen Einwirkungen eine getrennte Darstellung namentlich des historischen Verlaufs der Schloßbaukunst notwendig. Auf diesem Gebiet tritt alsbald auch im Süden Deutschlands die Vormachtstellung der italienischen Kunst zugunsten der französischen zurück.
Das Vorbild des Sonnenkönigs und seiner Schöpfung Versailles facht die deutschen Fürsten, vom Kaiser angefangen bis zum kleinsten Reichsgrafen, zur Nacheiferung an. Am Ausgang des 17. Jahrhunderts scheinen sie von einem wahren Baufieber ergriffen zu werden. Die Pläne riesiger Residenzen und Lustgärten tauchen in ihrem Geiste auf. Joseph I. beginnt mit Fischer von Erlach die Riesenentwürfe für das Lustschloß Schönbrunn auszuarbei-
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ten (Abb. 29). Friedrich I. von Preußen schreitet mit Schlüter und August der Starke von Sachsen und Polen mit Pöppelmann zur Ausführung weit- läuftiger Residenzen, die der Königsv:?ürde Ausdruck geben sollen. Die aus- schweifende Phantasie des Jan Wilhelm von der Pfalz ergeht sich in der Vorstellung eines ungeheueren Residenzschlosses in Düsseldorf am Rhein, das über die Entwurfszeichnungen Albertis nicht hinausgekommen ist. Zu welcher Leidenschaft die fürstliche Baulust gesteigert war, darüber belehren uns die Briefe der Kurfürsten Max Emanuel und seines Bruders Joseph Clemens, die sie aus ihrer französischen Verbannung schrieben. Während ihre Lande vom Feinde besetzt und in höchster Not sind, lassen die beiden fürstlichen Brüder nicht einen Augenblick von ihren weitausgreifenden Bau- plänen ab. Viele der ausgeführten Schlösser gehen bedeutend über die Mittel der Bauherrn hinaus, wie die des Max Emanuel in Nymphenburg und Schleiß- heim, das Karl Philipps in Mannheim, das Markgräflich Baden-Badensche in Rastatt, die herzoglich württembergischen in Ludwigsburg und Stuttgart, die markgräflichen von Ansbach. Bayreuth und Schwedt. Die kleineren Dynasten und der Landesadel blieben nicht zurück. Auch die Äbte der gro- ßen Klöster befriedigten ihren Ehrgeiz als große Bauherrn. Eine zunehmende Schuldenwirtschaft vieler fürstlichen und klösterlichen Finanzverwaltungen war die Folge der ungehemmten Bautätigkeit und die Ursache zu endlosen wirtschaftlichen Verwicklungen.
Es ist hier noch einmal auf die grundlegende Bedeutung hinzuweisen, die dem gesellschaftlichen Leben und der Etikette für die Ausbildung der Schloß- architektur zukommt. Das Residenzschloß und die darauf zugeschnittene Umgebung mit den Anfahrtsalleen, den Vorplätzen, den Wachtgebäuden, den umgitterten Ehrenhöfen, mit den Rampen und Treppen auf der Vorder- seite und den Terrassen auf der Rückseite, hat der Entfaltung des fürst- lichen Glanzes und der höfischen Gesellschaft zu dienen. Diesem Zweck sind auch die vornehmsten Räume des Innern gewidmet. Das Vestibül und das große Treppenhaus leiten hinauf zu dem durch mehrere Geschosse reichen- den Hauptsaal. Die links und rechts anschließenden, in einer Reihe, ,,in En- filade" gelegenen Prunkgemächer — unter denen eine Galerie nicht fehlen durfte — , waren gleichfalls den festlichen Gesellschaften bestimmt. Selbst die Wohnräume des Fürsten, die Gesellschafts-, Rauch-, Spiel- und Arbeits- zimmer des Fürsten und der Fürstin, sogar ihre Schlafzimmer standen unter dem Zwang der Etikette und wurden wie die Paradezimmer möglichst reich verziert. Nun blieb aber noch eine endlose Flucht von Räumen, im Erd- geschoß, in dem Obergeschoß und in den Flügeln, für Wohnungen der Kava- liere und Hofdamen und der Gäste, für die fürstliche Verwaltung, für Re-
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Abb. 59. Bischofshof in Münster, L. von Corfey, 1732
gierungsbehörden, für Küche und Dienerschaft übrig. Die Kopfbauten der Flügel erhielten in den großen Schlössern eine Kapelle und ein Opernhaus. Trotz alledem ist uns Heutigen die Benützung der Riesenschlösser oft kaum verständlich. Ihre Baugeschichte lehrt uns, daß sie in großen Teilen jahr- zehntelang ohne Möbel, ja ohne irgendwelche Ausstattung blieben. Man ■wollte um jeden Preis die größten Ausmaße des Gebäudes. Die Schöpfungen der Art sind mithin mehr Denkmäler der monumentalen Baukunst, als eigent- liche Wohngebäude. Zu ihnen gesellen sich die Residenzgebäude der Äbte und Domherren, die Stadt- und Landschlösser des Adels, die Jagdschlösser und zahlreiche kleinere Gattungen von Gesellschaftsgebäuden in den Parks, wie die Favoriten und Orangerien.
Auch im Schloßbau hatten sich die Grundsätze der Renaissance, die vor allem auf Regelmäßigkeit hinausliefen, schon vor dem Dreißigjährigen Kriege in Deutschland durchgesetzt. Die in der zweiten Hälfte des 17. Jahr- hunderts entstehenden Schloßbauten setzen also teilweise genau wie die gleichzeitigen Kirchenbauten die bereits eingeschlagenen Bahnen fort. Ins- besondere ist die um einen viereckigen Hof gruppierte vierflügelige Anlage mit wuchtigen Viereckstürmen, die das Schloß Friedenstein in Gotha und
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zahlreiche niederrheinische und westfäUsche Landschlösser der Jahrzehnte nach dem Dreißigjährigen Kriege aufweisen, bereits in dem Fürstbischöf- lichen Schloß in Aschaffenburg und anderen Bauten des frühen 17. Jahr- hunderts aufgenommen worden. Doch tritt eine Umgestaltung des Schloß- baues zu einer höheren Kunstform im Sinne des Barock unverkennbar erst unter der Einwirkung der italienischen und der holländischen Architekten ein. Seit den sechziger Jahren des 17. Jahrhunderts hat die holländische Baukunst, die Schule Kampens, Posts und Vinkenboons, den Schloßbau Nie- derdeutschlands entscheidend gefördert, sei es durch die eingewanderten Niederländer selbst, sei es durch ihre Kupferwerke. Der niederrheinische Adel, die Fürstbischöfe und Adeligen im Stift Münster, der Große Kurfürst und sein Statthalter Johann Moritz von Oranien in Cleve und Brandenburg, der Fürst von Anhalt und seine oranische Gemahlin, die Hansastädte und der Adel Schleswig-Holsteins: sie alle haben die Formen des holländischen Schloß- baues übernommen (Abb. 58). Selbst bis nach Mitteldeutschland finden sie Ver- breitung, wofür das von dem Prinzen Friedrich von Homburg dortselbst er- baute Residenzschloß zeugt. Die äußerste Klarheit im Aufbau unter spar- samer Anwendung strenger Pilaster, die Verbindung der Lehren Palladios mit den knappen heimischen Backsteinformen und dem steil abgewalmten hohen Ziegeldach kennzeichnet diese für unsere Zeit so bedeutungsvolle Architekturschule. Vornehmlich findet sie in den protestantischen Ländern Eingang und zwar auch nach England, Dänemark und Schweden als ein Gegenstück des holländischen Kirchenbaues. Doch hat sie auch im Stifte Münster durch die dänische Architektenfamilie Pictorius Fuß gefaßt (Abb. 59). Der gleichzeitige Schloßbau Süddeutschlands erhält durch die italieni- schen Schloß- und Festungsbaumeister den Anstoß zu höherer Kunstgestal- tung. Mit den Schloßbauten der holländischen Schule haben die der italieni- schen Schule im Süden Deutschlands die klare und schlichte Gliederung ge- rriein. Die Fassaden, im Süden meist weiß verputzt, sind flach gehalten, und ihre Gliederung beschränkt sich auf wenige vortretende Pilaster oder gefugte Mauerstreifen. Beliebt ist auch die Teilung der Flächen durch in den Putz geschnittene rechteckige Felder. Folgende sind einige der wichtigsten Denk- mäler : der für Leopold I. erbaute Trakt der Wiener Hofburg, der hohe vier- eckige Mittelbau des Schlosses Nymphenburg, als Villa für die Kurfürstin Adelaide von Savoyen von Barella, die Villa Lustheim in Schleißheim fün Max Emanuel von Enrico Zuccali, die ebenfalls von Zuccali 1697 begonnenen Teile der Residenz des Clemens Joseph in Bonn; die in demselben Jahre be- gonnene Residenz in Rastatt für Ludwig Wilhelm von Baden, die von dem aus Wien berufenen Egidio Rossi entworfen wurde, sowie nach den Plänen
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des gleichen Meisters die Markgräfliche Residenz in Durlach, von der nur ein Flügel ausgeführt ist. Die Residenz in Rastatt, deren Korps de Logis 1705 vollendet war, wurde durch den böhmischen Baumeister Ludwig Rohrer fortgesetzt. Dieser Rohrer war durch die Markgräfin Susanna, die einem böhmischen fürstlichen Hause entstammte, ins Badische berufen wor- den. Für die Markgräfin baute er das Lustschlößchen Favorite und das ein- fache Schloß in Scheibenhardt, für den ihr befreundeten Speyerer Fürst- bischof Damian Hugo von Schönborn die Eremitage von Waghäusel und ist beteiligt an dessen Residenzschloß in Bruchsal. Noch ein zweiter Strom der böhmischen Schloßbaukunst führt um 1700 nach dem Süden Deutschlands und zwar vertritt ihn die Familie Dientzenhofer. Der ältere der beiden Brü- der, Georg Dientzenhofer, ist an dem nach den Plänen des Prager Architek- ten Abraham Leuthner ausgeführten Bau des Klosters Waldsassen beteiligt gewesen. Der zweite, Joh. Leonhard Dientzenhofer, erbaute als Bamberger Hof- baumeister unterLothar Franz von Schönborn das umfangreiche Benediktiner- Kloster auf dem Michelsberg, zum großen Teile das Kloster Ebrach und vor allem, um 1695 beginnend, die große, im rechten Winkel den ehrwürdigen Domplatz begrenzende Residenz in Bamberg. Die durch Gesimse und Pila- sterstellungen gegliederten Fassaden der Residenz beweisen mit voller Deut- lichkeit, wie stark diese ältere deutsche Schule geradezu noch an den Renais- sanceformen Palladios und seiner Nachfolger festhält. Sie berührt sich darin mit den Meistern des älteren holländisch-französischen Klassizismus, der ja gleichzeitig im Norden Deutschlands Fuß gefaßt hatte. Bemerkenswerter- weise hat der von Hause aus handwerksmäßige Leonhard Dientzenhofer in eben diesen Jahren das Kupferwerk des Palladio- und Scamozzinachahmers Dieussart neu herausgegeben, eines Meisters, der über Mecklenburg nach Bayreuth kam, wo er die alte Residenz erbaute. Jedenfalls ist es ungemein wichtig festzustellen, daß im letzten Drittel des 17. Jahrhunders diesseits und jenseits des Maines eine nach Strenge und Klarheit strebende, grundsätzlich architektonisch gerichtete Schloß- und Klosterbaukunst entstanden war. Die großen Schloß- und Klostergebäude des jüngsten und bedeutendsten der drei Dientzenhofer, des auch als Kirchenbaumeisters so trefflichen Johann Dient- zenhofer, das Kloster Banz und die Fürstbischöfliche Residenz in Fulda, die Seitentrakte des Schönbornschen Schlosses Pommersfelden, zeigen diese klare Form in der höchsten Reife. "Einzelne Teile, so die Mittel- und Seiten- partien, werden durch flache, das erste und Obergeschoß zusammenfassende Pilaster betont, während in den glatten übrigen Flächen die Fenster über- einander durch profilierte Tafeln lebhafter verknüpft sind, eine Gewohnheit, die auch die Bamberger Privathäuser im Stile Dientzenhofers kennzeichnet.
Schmitz, 18. Jahrh. g I29
Die monumentale Form, die den fränkischen Klosterbauten durch die Dient- 2enhofer gegeben wurde, ist bis tief ins i8. Jahrhundert beibehalten worden. Diese schlichten und massigen, mit kräftigen Dächern zusammengefaßten vielfenstrigen Gebäulichkeiten in Quaderbau bilden ein Gegenstück zu den Kasernen, Magazin- und sonstigen Nutzbauten etwa der Berliner Bauschule unter Friedrich Wilhelm I. Nicht genug kann der Architekt der Gegenwart die Disposition dieser Gebäudegruppen innerhalb der alten Städte, auf Höhen vind in Tälern studieren. Niemals wäre die falsche Barocknachahmung un- serer Vätergeneration möglich gewesen, wenn man beachtet hätte, daß neben den Prunkbauten dieses Jahrhunderts die schmucklosen Nutzbauten einen mindestens gleich großen Platz einnehmen.
Am Ausgang des 17. Jahrhunderts treten im Schloßbau, wie das auch im Kirchenbau beobachtet wurde, einige große jüngere Meister hervor, die den strengen und flachen Stil des älteren Barock mit kräftigerem Ausdruck durchdringen. Auch hier ist die unmittelbare Fühlungnahme mit dem Barock in seiner italienischen Heimat charakteristisch. Die Meister, die somit die deutsche Schloßarchitektur aus den strengen Fesseln des 17. Jahrhunderts gelöst haben, sind in erster Linie Andreas Schlüter am preußischen Hofe, Johann Bernhard Fischer von Erlach, der Baumeister Kaiser Josephs I. und Karls VI., Lukas von Hildebrand, der Baumeister des Prinzen Eugen und der Grafen Schönborn, sowie Pöppelmann, der Baumeister Augusts des Starken.
Schlüter, von Hause aus Bildhauer, gebürtig aus Hamburg, war bereits im polnischen Danzig und namentlich in Warschau durch die Künstler Johann Sobieskis mit der Kunst der italienischen Stukkaturen und Architek- ten in Berührung getreten. Auch in Berlin, wohin er dem Rufe Friedrichs III. folgte, fand er bereits eine italienische Künstlerkolonie vor. Der Kurfürst hatte bald nach seiner Thronbesteigung um 1690 den großen inneren Hof des alten Berliner Schlosses durch Italiener mit einem großartigen Säulen- bau bekleiden lassen. Als mit der wachsenden Aussicht auf die Königswürde in dem Fürsten der Gedanke eines neuen gewaltigen Residenzschlosses her- anreifte, fand er in Schlüter den geeigneten Mann zur Verwirklichung. Die beiden Fassaden des von Schlüter seit 1699 im Anschluß an den Renaissance- bau errichteten Palastes sind in ihren Rücklagen Nachbildungen des fünfzig Jahre älteren Palazzo Madama in Rom. Ganz im Gegensatz zu all den ge- nannten voraufgehenden und gleichzeitigen flachen und strengen Fassaden der italienisch-deutschen Meister greift Schlüter als erster auf den mächtigen römischen Barock, wenn auch einer etwas älteren Epoche zurück. Allein er verstärkt den plastischen Ausdruck zunächst in dem obersten Mezzaninge- schoß, wo Adler mit ausgebreiteten Schwingen und Fruchtkränze zwischen
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den Fenstern gegen das reiche Kranzgesimse drängen. Die stark schatten- den Fensterverdachungen sind dem römischen Vorbild ähnlich. Dagegen ent- steht ein völlig abweichendes Gepräge durch die in der Mitte der Fassade eingesetzten dreiachsigen Vorsprünge. Der nach dem Lustgarten zu hat in der Mitte einen von zwei Atlanten getragenen Balkon (Abb. 6i), der nach dem Schloßplatz hat vier gewaltige freistehende korinthische Säulen über dem kräftig gefugten Erdgeschoß (Abb. i6). Diese Betonung der Mittelachse, die dem römischen Palastbau fremd war, spricht für die Bekanntschaft Schlüters mit dem französischen Barock, wie denn auch manche Einzelheiten auf Kenntnis der kurz vorher vollendeten Bauten des Louvre deuten. Die souveräne Ge- staltungskraft Schlüters enthüllt sich am großartigsten in dem Hofe. Vor die kräftigen Vorsprünge der drei Flügel, hinter denen die Treppenhäuser liegen, hat Schlüter die mächtigen korinthischen Säulen gesetzt, die von Italienern für den eben genannten Arkadenhof gearbeitet waren (Abb. 60). Die vierte Seite des rechteckigen Hofes nach Westen wollte Schlüter durch eine Kolonnade abschließen. Das Haupttreppenhaus liegt hinter dem mit sechs Säulen besetzten östlichen Vorsprung. Es führt in zwei Armen, die im rechten Winkel um zwei Pfeiler geordnet sind, zu dem Schweizersaal empor — wo die Trabanten gewöhnlich den König mit klin- gendem Spiel empfingen — und von dem aus nach beiden Seiten, die En- filade der Zimmer rechteckig umbiegend, links zum Rittersaal am Lust- garten und rechts zum Elisabethsaal am Schloßplatz führt. Durch das große Portal am Schloßplatz hielt der neugekrönte König im Jahre 1701 seinen Einzug. Vor Schlüters Schöpfung muß man sich immer und immer ver- gegenwärtigen, daß sie nur die Hälfte des heutigen Schlosses umfaßte, daß seine Fassade nur einen Mittelvorsprung und jeder seits davon nur sechs beziehungsweise sieben Fensterachsen umfaßte. Sie stellte also einen ver- hältnismäßig kurzen und hohen Bau dar, ganz im Sinne der römischen Paläste. Leider ist durch die seit dem Jahre 1707 durch Eosander von Goethe vorgenommene Verdoppelung des Gebäudes nach Westen die Schlü- tersche Komposition ihrer gedrängten Kraft erheblich beraubt worden. Eosan- der, ein Schwede und also ein Landsmann Tessins, der gleichzeitig das riesige Stockholmer Schloß in ähnlichen römischen Barockformen erbaute, schloß den so entstehenden äußeren Hof im Westen durch einen Querbau ab. In der Mitte dieses Westbaues errichtete er ein mächtiges Portal nach dem Vor- bild eines römischen Triumphbogens, auf das erst im 19. Jahrhundert von Stüler die achtseitige Kuppel aufgesetzt wurde. Die leere Pracht dieses von posaunenblasenden Genien belebten Triumphbogens unterscheidet sich von dem echten Pathos des Schlüterschen Hofes. Eosander war der bevorzugte
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Abb. 6i. Lustgartenfassade des Berliner Schlosses, von A. Schlüter, 1700
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Festdekorateur des Königspaares. Die lange Galerie, die er seit dem Jahre 1707 als Fortsetzung der Schlüterschen Paradekammern einrichtete, ist das Glanzstück der jetzt in den deutschen Schlössern nach dem Muster von Ver- sailles und dem Louvre Mode werdenden Galerien, die den festlichen Emp- fängen dienten. Die Komposition der überreichen Stuckfiguren und Gemälde ander Decke bleibt aber auch hier weit zurück hinter der zusammenfassenden plastischen Gestaltungskraft, mit der Schlüter im Elisabethsaal und vor- nehmlich im Rittersaal die Figurenmassen dem Räume einzuordnen versteht. Nach Schlüters Projekt sollte das Schloß ein Gegenstück erhalten in dem gleich gebildeten Marstallgebäude — die Lange Brücke mit dem Kurfürsten- denkmal hätte auf die Mittelachse hingeführt. Den hinteren Abschluß des so entstehenden tiefen Schloßhofes sollte der zentrale Kuppelbau des Domes, ähnlich dem St. Peter in Rom, bilden. Die Zeitgenossen priesen Schlüters Schloßbau als das bedeutendste Architekturwerk in Deutschland. Sie muß- ten darin die Offenbarung eines über alle bisherigen Versuche hinausgehen- den monumentalen Könnens erblicken. Allein die ältere strenge Schule, die, wie wir sahen, im letzten Drittel des Jahrhunderts in Deutschland Fuß gefaßt hatte, tadelte den Bau als den Regeln der Architektur zuwider. Die kühne Behandlung der Säulenordnungen und Gesimse konnte natürlich den Beifall der Akademiker nicht finden. So hat der um die Theorie des prote- stantischen Kirchenbaues verdiente Mathematikarchitekt Sturm den Schlü- terbau stark bemängelt. Eosander, Schlüters Mitbewerber, hat ebenfalls, wenn auch indirekt, daran getadelt. Es war gewiß ein tragisches Verhäng- nis für Schlüter, daß gerade diese beiden Männer nebst dem ebenfalls schul- gerechten Grünberg über ihn zu Richtern gesetzt wurden, als der eben auf- geführte Münzturm an der Nordwestecke des Schlosses sich zu senken be- gann. Der Turm, dessen Entwurf von Schlüter erhalten ist, mußte schleunigst abgetragen werden. Die Schuld Schlüters an der mangelhaften Bauführung war nicht abzustreiten. Der wohlgesinnte König mußte den Künstler seiner Stellung als Oberschloßbaudirektor entkleiden. Schlüter war eben kein ge- lernter Architekt von Hause aus, und es liegt nahe anzunehmen, daß er, der so genial gestaltende Künstler, die Forderungen der Statik nicht mit dem gebührenden Ernst beachtet hat. In Berlin blieb er noch sechs Jahre als Bildhauer am Schloß mittätig. Von seinen übrigen Bauten verdienen die ab- gerissene alte Post und das noch erhaltene Kamekesche Landhaus in der Dorotheenstraße, jetzt Loge Royal York, Erwähnung. Im Jahre 17 13, wo mit der Thronbesteigung Friedrich Wilhelms I. das Berliner Kunstleben ein- fachere Bahnen einschlug, wurde Schlüter von Peter dem Großen nach Peters- burg gezogen, wo er bald darauf in ärmlichen Verhältnissen starb. Damals gin-
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gen Eosander und Longuelune an den Hof Augusts des Starken nach Dresden. — Auch Schlüters österreichischer Zeitgenosse, der ihm an Geniahtät gleich- kommende Bernhard Fischer von Erlach, war von Hause aus Bildhauer. Auch er hatte, was schon anläßlich seiner großartigen Salzburger und Wiener Kirchenbauten bemerkt wurde, in Rom studiert. Von dort kam er um 1685 nach Wien, gerade im rechten Augenblick, als nach der siegreich überwun- denen Türkenbelagerung eine beispiellose Baulust die Kaiserstadt umzuge- stalten begann. Fischer und Hildebrand kommen mit der glorreichsten Epoche Österreichs empor. Diese wird eingeleitet durch die ruhmwürdige Schlacht vor den Toren Wiens, die ein für allemal der Türkennot ein Ende machte. Hier war esauch, wo der größte Krieger und Staatsmann Österreichs, Prinz Eugen, unter den Augen Johann Sobieskis als junger Dragoneroffizier die ersten Lorbeeren pflückte. Fischer arbeitete 1687 unter Leitung Burna- cinis an der steinernen Ausführung der Dreifaltigkeitssäule am Graben. Mit den beiden Triumphbogen für den Einzug Josephs I. als römischen Königs 1690 errang er den ersten großen Erfolg über die Italiener. Er unterrichtete Joseph I. in der Architektur und hat den für das Große empfänglichen und Großes wollenden Fürsten mit den weitgreifenden Gedanken der neuen Bau- kunst erfüllt. Um das Jahr 1695 schritten die beiden zu der Riesenanlage des Schlosses Schönbrunn, das in seinen Grundzügen um 1700 entstand, aber erst unter Maria Theresia vollendet wurde. Der langgestreckte Bau mit seinem weiten Ehrenhof steht unleugbar unter dem Eindruck von Versailles. Bei den übrigen Palästen, die Fischer jetzt für den österreichischen Hochadel in der Stadt und am Rande derselben auf dem Gebiete der planierten Festungswerke und Vorstädte errichtete, entfaltet sich der ihm so ganz eigentümliche Raum- und Formensinn. Gleich seinen Kirchenbauten tragen diese Adelspaläste ein Gepräge von wuchtiger Größe und Klarheit, das un- sere so leidigen Fragen nach der Herkunft des Stils, nach den Einflüssen ver- stummen läßt. Es läßt sich nur sagen, daß der kräftige plastische Ausdruck, die starken Fensterverdachungen und reichen Konsolengesimse, die Her- kunft aus dem italienischen Spätbarock zur Schau tragen. Sie ist auch in der Gliederung der Fassaden der hohen, an den engen Straßen gelegenen Stadtpaläste zu spüren, z. B. an dem 1696 für den Prinzen Eugen begonne- nen Winterpalais, an dem um 1720 entstehenden Palais Trautson. Die vier- eckigen Treppenhäuser mit flachansteigenden, rechteckig umbiegenden Stiegen stellen eine Fortentwicklung aus den in Oberitalien, nament- lich in den Palästen Genuas , üblichen Treppenhäusern dar. Das zeigt sich noch deutlicher in den Treppenhäusern Lukas von Hilde- brands, so in dem des oberen Belvedere. Die muskulösen Giganten,
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Abb. 63. Belvedere in Wien, von L. von Hildebrand, um 1720
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Abb. 64. Schloß Mirabell in Salzburg,- Treppenhaus. L. von Hildebrand, um 1720 138
die in diesem Bau und im Winterpalais des Prinzen Eugen die schwere Last der Gebälke stützen, deuten im Vergleich mit den unter dem Druck seufzenden Titanen in Schlüters Berliner Haupttreppenhaus darauf, daß die drückende Schwere, die dem älteren Barock eigen war, sich zu er- leichtern beginnt. Dort, wo Fischer von dem Bauplatz unbeschränkt war, in den Adelspalais vor der Stadt (Abb. 62), bevorzugt er die niedrige, lang- gestreckte, durch einen runden herausgewölbten Mittelbau betonte Schloß- anlage mit flachen Terrassen und Vorplätzen, wofür das 1697 dem Fürsten Mannsfeld erbaute jetzige Schwarzenberg-Palais am Rennweg das berühmte Hauptbeispiel ist. In dieser Anlage verkörpern sich im Grundriß wiederum Gedanken der französischen Lehre. Allein so wenig wie anläßlich der Kir- chenbauten Fischers ist in diesen und den verwandten Palastschöpfungen die überwiegende Schulung am italienischen Barock zu verkennen. Es war übrigens damals die italienische Baukunst selbst bereits mit den Gedanken der französischen Regelmäßigkeit und Symmetrie durchsetzt. Neben der Hauptströmung des italienischen Barock, die von Boromini zu Guernieri und endlich zu Chiaveris Dresdener Hofkirche fortging, hatte sich in Rom und namentlich in Oberitalien eine strengere Richtung wachsende Geltung ver- schafft. Aus ihr sind z. B. auch die beiden um 1700 von dem Italiener Domenico Martinelli für den Fürsten Liechtenstein erbauten Wiener Paläste, der Stadtpalast und der Gartenpalast in der Roßau, hervorgegangen. Wie viel lebendiger ist aber doch die Bewegung der Flächen im ganzen und der plastischen Glieder im einzelnen an Fischers Palästen. An das Ende seines Lebens fällt der Ausbau der Wiener Hofburg, die Karl VI. aus der Anhäu- fungwinkliger Bauteile vom Mittelalter und der Renaissance in eine moderne, um weite regelmäßige Höfe geordnete Anlage umzugestalten unternahm. Doch ist nur der um 1720 entstandene Reichskanzleitrakt der Hofburg ganz nach Fischers Plänen durchgeführt. Die kräftige Sprache des Meisters reden noch die großen Pilaster, die Doppelkonsolen der Gesimse und hermengetra- genen Balkone. Das späteste Werk des Künstlers ist die ein Jahr vor seinem Tode 1722 begonnene Hofbibliothek neben der Hofburg, nach dem Joseph- platze hufeisenförmig geöffnet. Sie ist von Fischers Sohn, Joseph Emanuel Fischer, vollendet worden. Die Fassade mit flachen Pilastern und strengem Fugenschnitt verrät nur in dem herausspringenden, mit Viergespann bekrönten Mittelbau die plastisch gestaltende Hand des alten Meisters, ist aber im übrigen schon streng akademisch. In dem großen Büchersaal des ersten Stockwerks, der sich in der Mitte zu einem von korinthischen Säulen getra- genen ovalen Kuppelraum erweitert, erhebt sich die Raumkunst des alten Fischers noch einmal zu der in der Karlskirche erreichten Vollendung. Ihren
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Abschluß erhalten die Erweiterungsbauten der Hofburg in dem von dem jün- geren Fischer erbauten Flügel der Winterreitschule, der erst in den dreißiger Jahren ausgeführt wurde.
Lukas von Hildebrand, der im Stil etwas jüngere Zeitgenosse Fischers, hat in verwandter Weise die bewegten plastischen Formen des späteren italieni- schen Barock mit den von Frankreich ausgegangenen Grundrißgedanken zu einer höchst selbständigen Architektur verschmolzen. Er ist einer deutschen Familie in Genua entsprossen und hat längere Zeit als Ingenieur-Offizier in der Armee des Prinzen Eugen in Italien geweilt. Er geht von dem Stil der spätbarocken Palastarchitektur Oberitaliens aus. Seine Fassaden sind rei- cher und zierlicher gegliedert als die des Fischer: die eleganten Stadthäuser (Palais Kinsky, 1709 — 17 13) und Gartenpalais (Harrach und Schönborn) und das Hauptwerk, der Sommerpalast des Prinzen Eugen, das Belvedere. Das stattliche obere Belvedere, das er dem sieggekrönten und zu großen Reich- tümern gelangten Feldherrn in den Jahren 1721 — 1723 errichtete, bedeutet sowohl in der ganzen Gliederung mit höherem Mittelbau und vier Eck- pavillons an den Seiten wie in dem reichen plastischen Schmuck eine Los- lösung aus dem schweren älteren Barock (Abb. 63). Der in der Breite des Gebäudes die sanft absteigende Fläche bis zum unteren Belvedere einneh- mende Garten bezeichnet in seiner Anlage mit strengen Hecken, Fontänen und Rampen zugleich die Meisterschöpfung der Wiener Gartenkunst des Barock, die sich seit der kaiserlichen Favorite in so zahlreichen Schlössern am Rande der Stadt entwickelt hatte.
Mit Schlüter, Fischer von Erlach und Hildebrand ist Daniel Pöppelmann in Dresden als der vierte Hauptvertreter des plastisch gestaltenden reifen Barock aus dem Beginn des 18. Jahrhunderts zu nennen. Die großen Pläne für das Residenzschloß Augusts des Starken am Eibufer in Dresden und für das Königliche Schloß und die Lustgärten in Warschau sind allerdings nur Projekte geblieben. In dem Zwinger aber hat Pöppelmann dasjenige Werk hinterlassen, das den Grundzug dieser Barockströmung am vollkommen- sten offenbart (vgl. Abb. 18). Allerdings hier in diesem steingewordenen Fest- theater, in dieser für den Glanz des Sonnenlichtes und für den Schmuck des dunklen Grüns berechneten Orangerie, konnte sich der plastisch formende Zug dieser Richtung, ledig der strengen Fesseln, ungehemmt ergehen. In Permoser, dem Fortsetzer Berninis, fand Pöppelmann den gleichgestimmten Bildner für die Ausführung seiner Ideen. Dagegen ist das zweite erhaltene Werk Pöppelmanns, das japanische Palais, gemäßigt in der Haltung, und erhielt durch Longuelune eine im Sinne des französischen klassischen Barock durchgebildete endgültige Gestalt.
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Abb. 65. Schloß Pommersfelden, von M, von Welsch (?), um 1720
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Hier ist eine unentbehrliche Bemerkung einzuschalten. In dem Schaffen der vier eben genannten großen Meister macht sich bei all dem Streben nach plastischer Belebung dennoch zunehmend das klärende strenge Bildungs- prinzip der französischen Schule geltend. Zur gleichen Zeit mit ihnen hatte in der Gliederung der Grundrisse und Aufrisse der klassische Regelgeist der Pariser Architekten in Deutschland allenthalben Boden gewonnen. Dieses Nebeneinander, dieser Widerstreit, diese Verschmelzung und Durchdrin- gung der plastisch und malerisch empfindenden von Italien ausgehenden Barockrichtung, die in den österreichisch-böhmischen Werken am stärksten ausgebildet ist, mit der von Westen kommenden, grundsätzlich architek- tonisch und mathematisch denkenden klassischen Barockströmung sind für die deutsche Baugeschichte, vorzüglich für den Schloßbau, von der größten Bedeutung. Wir müssen daher dieser Erscheinung noch einen Augenblick der Aufmerksamkeit schenken.
Auf die ersten Vertreter des französischen Bauwesens, auf jene Huge- nottenbaumeister wie Dury und la Chiese, folgten um 1700 Schüler des älteren Blondel, unter denen de Bodt, als der Erbauer des Berliner Zeughauses, be- sondere Beachtung verdient. Der so manche Anklänge an die Pariser Bauten des früheren Louis Quatorze aufweisende Bau des Zeughauses entstand be- merkenswerterweise gleichzeitig mit dem nahen Schloß von Schlüter. Also hier der französische Barockklassizismus mit seiner strengen Pilasterord- nung, mit dem gefugten Erdgeschoß und der flachrunden Portalnische, die ähnlich am Louvre, und dort der Palazzo nach römischem Muster! Der be- rühmte Kampf der Ideen zwischen Perrault, dem Architekten des Louvre, und Bernini scheint von Paris an die Ufer der Spree verpflanzt zu sein. Allein in dem Falle des Zeughauses machen sie ihren Frieden miteinander, denn Schlüter und seine Schule haben die Fassade, die Dachbalustrade und den inneren Hof reich mit plastischen Trophäen belebt und damit dem Werke doch eine Wärme gegeben, die dem Blondelschen Klassizismus fremd ist. Die Einwirkung von Paris und Versailles zeigt sich am Anfang des 18. Jahr- hunderts in der Verlängerung so mancher ursprünglich palazzoartiger kurzer Villenbauten durch langgestreckte niedrige Flügel. Eosander baut in dieser Weise das Lustschloß der Sophie Charlotte, Charlottenburg, aus, Zuccali und Effner, die beide in Paris studiert hatten, Schleißheim und Nymphenburg für Max Emanuel. Es entstehen eine Anzahl Schloßbauten nach französi- schen Plänen und selbst von Franzosen ausgeführt, die sich nicht nur in den Grundrissen, sondern auch im Aufbau in den Grenzen des strengsten fran- zösischen klassischen Barock halten. Man bedenke, daß, während Fischer und Hildebrand in Wien, Schlüter in Berlin und Pöppelmann in Dresden
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Abb. 66. Schloß Pommersfelden, Mittelsaal, um 172C-30
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Abb. 67. Schloß Pommersfelden, Treppenhaus, um 1720
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wirken: Longuelune, der Schüler le Pautres, in Dresden und Um- gebung baut, daß de Cotte, der oberste Baumeister des Königs von Frankreich, für Joseph Clemens die Pläne zum Fortbau der Bonner Residenz (17 15) und zum Poppelsdorfer Schlosse entwirft. Man denke ferner an die Tätigkeit Hauberats am Schloß in Mannheim und an sein Palais Thurn und Taxis in Frankfurt (neben der Hauptpost), und an das 17 10 von Remy de la Fosse erbaute abgebrochene Landhaus in Hannover und das von ihm 17 15 begonnene Darmstädter Schloß. Die Mehrzahl der deutschen Baumeister folgte den hier verkündeten Ideen strengster Symmetrie und Ordnung in den jetzt allenthalben entstehenden fürstlichen und adeligen Stadt- und Land- schlössern, sowie in den umfangreichen Kloster- und Kollegienbauten. Die Kupferwerke des älteren Blondel, Davilers und Courdemoys taten das ihrige zur schnellen Verbreitung der neuen Formen. Der Sachverhalt ist also der, daß die deutsche weltliche Architektur des früheren 18. Jahrhunderts auf den Grundlagen weiterbaut, die bereits im letzten Drittel des 17. Jahrhunderts gelegt worden sind; nur wird die gleichförmige Sachlichkeit der älteren Zeit durch die neuen französischen Lehren im Sinne der stärkeren Konzentration des Grundrisses und Aufbaues um eine Mittelachse belebt. Hierher gehören die münsterschen Adelshöfe, Landschlösser und Klöster des Gottfried Laurenz Pictorius (Bevervörder Hof in Münster, Schloß Nordkirchen und Jesuitenkolleg in Büren) und die des Lambert von Corfey (Abb. 5g), in denen die Überlieferung des Backsteinbaues der älteren holländischen Schule fortgeführt wird. Weitere Beispiele sind das Fürstlich Waldecksche Resi- denzschloß in Arolsen, das im Jahre 17 10 von Rothweil begonnen wurde, zahlreiche Schlösser am Rhein, in Nassau und Thüringen (Baulichkeiten in Gotha und Altenburg). Ja auch in den späteren Werken des Johann Dient- zenhofer ist die Hufeisenform des Grundrisses und das herausgehobene Corps de Logis von der westlichen Richtung übernommen, so im Fürstlich Löwensteinschen Schlosse Klein-Heubach — zu dessen Oberleiter allerdings de la Fosse aus Darmstadt ernannt wurde — , in der Residenz in Fulda und im Schlosse Pommersfelden. In der Mehrzahl der Fälle nähert sich auch die Formensprache all dieser Bauten vom ersten Jahrhundertdrittel der schmuck- losen klaren französischen Richtung, für die im einzelnen der flache Korb- bogen der Fenster und Türen bezeichnend ist. Namentlich dort, wo die Bau- gelder beschränkt waren, legte man sich äußerste Zurückhaltung auf. Erst in den mit reicheren Mitteln aufgeführten Prunkbauten, wo der freiwaltende Kunstgeist sich ergehen konnte, drängt sich der deutsche Geschmack stärker in den Vordergrund. Das zeigen die Werke des Mainzer Hofbaumeisters Maximilian von Welsch. Seine Hauptschöpfung, die seit 1706 für den Kur-
Schmitz, 18. Jahrh. lo ^45
fürsten Lothar Franz von Schönborn geschaffene Favorite in Mainz, ist allerdings zerstört. Der kräftige plastische Zug des Welsch spricht sich trotz der übernommenen französischen Formen in den stark vorspringenden wuchtigen Pilastern aus, die er an den fünf Pavillonbauten der Mainzer Favorite, an der Orangerie in Fulda wie an dem Zeughaus und dem Deutschordenshaus in Mainz anwendet. Daraufhin vergleiche man nur die gedrängte Fülle der Fuldaer Orangeriefassade mit der kurz vorher entstan- denen, ganz flachen der Orangerie von de la Fosse in Darmstadt und von Dury in Kassel. Wahrscheinlich ist dem Welsch auch die Vollendung des 171 1 von Johann Dientzenhofer begonnenen Schlosses Weißenstein bei Pom- mersfelden zuzuschreiben (Abb. 65). Der vorwärts und rückwärts vorsprin- gende, an den Ecken abgerundete, dreifenstrige Mittelbau weist die wuch- tigen korinthischen Pilaster und Halbsäulen des Welsch auf. Mit seiner kräftigen Plastik, dem stark verkröpften Giebel und dem hohen, mit großen Erkern besetzten Mansarddach springt der Baukörper kräftig aus der lang- gestreckten Front heraus und bewirkt die dem französischen Stil fremde leb- hafte Gruppierung. In manchem erinnert er auch an die späteren Werke Hilde- brands, wie das Stift Göttweig, und es ist sehr möglich, daß der Bauherr, Fürstbischof Lothar Franz von Schönborn, den Wiener Baumeister der Familie mit hinzugezogen hat. Dies scheint bei der inneren Einrichtung des Mittelbaues zweifellos zu sein. Die ganze vordere Hälfte wird von dem breit rechteckigen ovalgerundeten, von Galerien auf schlanken Säulen umzogenen Treppenhaus eingenommen. Die hintere Hälfte ist im Erdgeschoß einem Gartensaal und in dem oberen dem durch zwei Stockwerke reichenden Fest- saal eingeräumt (Abb. 66). In denselben Jahren, um 1716, erhält ein zweiter langgestreckter Bau der Dientzenhofer, das Kloster Ebrach, einen ähnlichen kräftigen, durch Säulen belebten Mittelbau mit ähnlichem Treppenhaus im Innern und zwar durch den jungen Balthasar Neumann.
Mit Balthasar Neumann tritt der fränkische Barock ebenbürtig neben den der bisher genannten Residenzen. In seinem Hauptwerk, dem für den Fürst- bischof Johann Philipp von Schönborn 17 19 begonnenen Residenzschloß in Würzburg, verschmelzen sich die barocken bewegten Formen der öster- reichisch-süddeutschen Richtung mit den Gedanken der Pariser Schule zu einer Schöpfung von höchstem künstlerischem Range. Neumann hatte auf Anordnung des Bauherrn die Pläne in Paris eingehend mit de Cotte und Boffrand durcharbeiten müssen. Offenbar ist die klärende Einwirkung dieser Franzosen dem Baue zugute gekommen. Im Gegensatz etwa zu dem gleich- zeitigen Wiener Belvedere von dem älteren Hildebrand ist die Komposition des plastischen Schmuckes und der Gliederung in den Würzburger Fassaden auf
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Abb. 68. Residenzschloß in Würzburg, Mitteltrakt der Gartenseite, von Balthasar Neumann, um 1720—30
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starke Akzente gesammelt (Abb. 68: vgl. auch Abb. 23). Die Hauptgeschosse sind durch die strenge Fugenzeichnung und die Pilaster, im Erdgeschoß ferner durch dorische Säulenvorlagen einer strengen Ordnung unterworfen. Nun ist aber doppelt wunderbar das Heraufwogen der vorspringenden Verzierungen über den Fenstern des Obergeschosses und in der statuen- und trophäen- geschmückten Attika, sowie ihre Zusammendrängung in den geschweiften Mittelgiebeln zu rauschenden Akkorden. Der schwellende Reichtum der Plastik, der von den Dientzenhoferschen und selbst den stets etwas schweren Fassaden des Welsch absticht, deutet auf die Fühlungnahme Neumanns mit Hildebrand. Tatsächlich beweisen einige Zeichnungen und Schriftstücke die Hinzuziehung auch des großen Wiener Barockmeisters im Jahre 1730. Im Innern geht Neu- mann kühn über alles bisher in der Schaffung von Weiträumigkeit in Wien Geleistete hinaus. Das ungeheure zweiarmige Treppenhaus des ersten Planes wurde freilich durch de Gottes Eingriff auf den linken Arm beschränkt. Dieser großartige Raum sowie die beiden Festsäle in der Mittelachse erhiel- ten ihre Ausstattung erst in der Mitte des Jahrhunderts und sollen deshalb mit dem Rokokostil zusammen gewürdigt werden.
Noch einige andere Meister haben in den zwanziger und dreißiger Jahren des 1 8. Jahrhunderts die Verschmelzung der französischen Grundsätze in An- ordnung und Aufbau mit dem deutschen Geschmack für lebhafter ge- schmückte Flächen vorgenommen. Unter ihnen bestehen natürlich Unter- schiede. So hat Joseph Effner, trotz seines langen Aufenthaltes in Paris, seinen Münchner Adelspalästen — der bedeutendste ist das Preysingsche Palais neben der Feldherrnhalle (Abb. 69) — die Flächen mit plastischen Ver- zierungen übersponnen, die wohl den Landsmann der Asam, aber nicht den französisch geschulten Architekten erkennen lassen. Die hohen vierstöckigen Münchner Adelspaläste, die an den engen Gassen der mittelalterlichen Stadt aufwachsen, stehen in ihrer ganzen Anlage mehr den Wiener Stadtpalästen nahe. Eine breite Lagerung um einen weiten abgeschlossenen Ehrenhof, die in Münster, in Aachen und Krefeld und in Berlin die Paläste zeigen, war hier nicht möglich. In Berlin entstanden unter Friedrich Wilhelm I. eine Reihe Paläste an der Wilhelmstraße von Wiesend, Gerlach, der auch das Berliner Kammergericht und die Stadtschule in Potsdam erbaute, und von Kemmeter, dem Erbauer des rechten Rheinsberger Schloßflügels für den jungen Fried- rich, und dem Lehrer Knobelsdorffs. Das Schloß in Schwedt an der Oder von Richter nähert sich dem Stile dieser Bauten. Aus Süddeutschland ver- dienen als wichtigste Zeugnisse dieses spätesten Barock unter französischer Einwirkung genannt zu werden die von Frisoni erbauten Flügel, Kavalier- und Verbindungsbauten im Ludwigsburger Schlosse und ebendort das den
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SüMiy
Abb. 69. Preysing-Palais in München, von Effner, um 1730
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riesigen Rechteckshof abschließende, nach Frisonis Plänen von Paolo Retti errichtete, vordere Corps de Logis, und endlich der Hauptbau des Schlosses in Ansbachs). Die Merkmale all dieser um 1730 entstandenen Gebäude sind die zusammenfassenden Pilaster und die plastische Belebung der Fensterver- dachungen, der Giebel und derAttiken, womit in erster Linie die dreiachsigen Mittelvorsprünge betont v^^erden. Wir sind damit in die Zeit getreten, wo der Barock, wenn wir nach dem Kirchenbau urteilen, in den Rokokostil über- geht. Allein diese Wandlung ist an dem weltlichen Außenbau nur in sehr be- schränktem Maße wahrzunehmen. Dagegen schreitet die Innenausstattung, die ebenfalls die stärksten Einwirkungen von der französischen Regence er- fahren hat. im Verlauf der dreißiger Jahre deutlich zu einem anderen Stile, eben dem Rokoko über.
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Abb. 70. Fontäne im Park des Belvedere in Wien, um 1720
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13. DIE SCHLOSS- UND H AUS AR CHITEKTUR IM ROKOKOZEITALTER
Die Grundlagen, auf denen sich die deutsche weltHche Architektur des Ba- rock im ersten Drittel des Jahrhunderts aufbaute, bleiben in dem zweiten Drittel des Jahrhunderts, in dem Zeitalter des Rokoko, zunächst im wesent- lichen unverändert. Die Wandlungen erstrecken sich mehr auf den Grad der Empfindung. Im äußeren Gewände der Gebäude drückt sich diese Änderung vorwiegend im Einzelnen, in der Ornamentik aus. Das Innere dagegen setzt die Steigerung der Raumbewegung und die Lockerung der Glieder fort, die in dem späteren Barock in Fluß gekommen war. In diesem letzteren Punkt hält die Schloßarchitektur gleichen Schritt mit der kirchlichen. Eilen wir sogleich den Höhepunkten der Raumkunst des weltlichen Rokoko zu. Es sind das die von Balthasar Neumann um die Mitte des Jahrhunderts — also zugleich mit Neresheim und Vierzehnheiligen — geschaffenen Haupträume des Schlosses in Würzburg und in Bruchsal. Das Treppenhaus des Würz- burger Schlosses ist wohl unstreitig der großartigste Raumeindruck in Deutschland. Auf der breiten, mit sanfter Neigung steigenden Treppe fühlt
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sich der Hinaufschreitende mit ungeahnter Leichtigkeit emporgeführt. Es öffnet sich über ihm der unendHche blaue Himmel, im weiten Umkreis von bunten Völkerscharen begrenzt — immer neue der in majestätischer Ruhe hingelagerten Gestalten erschließen sich dem Höherkommenden, gemalt von Tiepolos Meisterhand. Mit dem Stiegenhaus wetteifert der große, in dem ausgerundeten Mittelteil nach dem Garten gelegene breitovale Kaiser- saal (Abb. 71). Schlanke korinthische Halbsäulen tragen die zierlichen Gesimse, über denen die hohen, von tiefen Stichkappen durchschnittenen, von den Oberfenstern erleuchteten Gewölbe aufsteigen. Die Wände sind vorwiegend weiß, von zarten, grün- und rosafarbenen und vergoldeten Glie- dern durchsetzt. Die nämliche Lockerung aller Formen, bis zu den zerfran- sten Kapitellen und Rocailleschnörkeln aus Stuck zugleich mit der höchsten Erweiterung des Raumes, wie sie die genannten Kirchen schon veranschau- licht haben. Auch hier vervollständigt das Werk des größten deutschen Raumkünstlers der größte italienische Deckenmaler des 18. Jahrhunderts. Ein Zusammentreffen auf dem Höhepunkt des 18. Jahrhunderts, das für den Ge- samtverlauf der europäischen Kunst des Barock und Rokoko eine tiefgehende Bedeutung hat. Eine faltenreiche Stuckdrapierung wird von Engelkindern beiseite geschlagen, und es eröffnet sich der Blick auf eine sonnenüberglänzte Festversammlung unter lachendem Himmel : die Belehnung des Bistums Würzburg mit dem Herzogtum Franken durch Kaiser Barbarossa. Eben- bürtig ist dem Würzburger Kaisersaal der gleichzeitige Festsaal des Bruch- saler Schlosses, im Mittelteile nach der Gartenseite. Das dortige Treppen- haus ist nur ein Umbau aus einem älteren des, wie gesagt, dreißig Jahre zu- rückliegenden Schloßbaues. Was hat aber Neumanns Meisterhand daraus gemacht! Er durchschnitt den rundovalen Raum durch einen säulengetragenen Unterbau, der im Erdgeschoß einen Grottensaal aufnimmt. Die Läufe der Treppe winden sich um diesen Einbau im Bogen aufwärts. Dem Hinauf- steigenden enthüllen sich also schrittweise die Blicke in das obere Vestibül und auf das Gewölbe, das Johannes Zick mit einem Fresko bemalt hat. Reiche Stuckschnörkel von Feichtmeyers Hand fluten an den Wänden ringsum gegen die Gesimse und darüber empor und finden ihre Fortsetzung in den gemalten Grotten- und Schnörkelarchitekturen des Zickschen Freskos, durch deren Öffnungen der lichte Himmel hindurchscheint. Auf Stufenbauten am Rande des Bildes thronen die Fürstbischöfe von Speier, Damian Hugo von Schönborn, des Schlosses Erbauer, und gegenüber Hütten, der Vollender, umgeben von ihren Künstlern und Kavalieren. Von den Treppenhäusern in Würzburg und Bruchsal schweifen unsere Gedanken rückwärts zu dem in den vierziger Jahren von Neumann für Clemens August ausgestatteten
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Abb. 71. Kaisersaal im Würzburger Schlosse, von Balthasar Neumann Mitte 18. Jahrhunderts
prunkvollen Treppenhause des Schlosses Brühl, das noch starke Züge des schweren Barock aufweist, und weiter zurück zu dem von Effner erbauten in Schleißheim, ferner zu dem im Schlosse Mirabell bei Salzburg von Hildebrand (Abb. 64) und dann zu dem von Pommersfelden (um 17 18) und gelan- gen schließlich zu dem am Anfang dieser Reihe stehenden von Schlüter im Berliner Schlosse und dem des Prinz-Eugen-Palais des Fischer von Erlach um 1700. Welch eine stufenweise Entwicklung vom Gebundenen und Engen
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zum Freien und Gelösten in diesen fünfzig Jahren. Den gleichen aufsteigen- den Gang nehmen die Raumformen und Gliederungen der großen Säle, um nur den Mittelsaal des Palais im Dresdener großen Garten, den Rittersaal im Berliner Schlosse, den großen Saal in Schleißheim von Effner, den der Oran- gerie in Fulda, den des Schlosses Pommersfelden und endlich den des oberen Belvedere in Wien als Vorstufen zu den großen Sälen von Würzburg und Bruchsal aufzuzählen.